von Michaela Lissowsky
Die Schuld schwerster Menschenrechtsverbrechen juristisch zuzuschreiben ist herausfordernd. Die Verfahren an den internationalen Strafgerichtshöfen und Tribunalen demonstrieren das seit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess bis heute. Die Dimensionen dieser Schuld in der Bildungsarbeit verständlich und begreifbar zu machen, scheint ein nahezu unmögliches Unterfangen zu sein. Schließlich geht es nicht nur um die Vermittlung von Normen des geltenden internationalen Rechts, sondern auch um moralische Werte und politische Ziele.
Mit seiner Dissertation „Die Suche nach Schuld und Gerechtigkeit – Eine politische Fachdidaktik des Internationalen Militärtribunals von Nürnberg“ erstellt Otto Böhm ein erstes didaktisches Konzept für die politische Bildungsarbeit zu diesem Themenbereich. Sein Ziel ist das praktische Sichtbar- und Verstehbarmachen von Begriffen, Beispielen und Kategorien zu den Themen Nürnberg und Schuld bzw. Strafgerechtigkeit in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen. Bereits Karl Jaspers war nach 1945 überzeugt, dass die Deutschen die Schuldfrage an sich selbst richten müssten. Diesen Ansatz greift Böhm auf, weil eine Beschäftigung mit Strafgerechtigkeit jeden immer wieder auf urtümliche menschliche Fragen der Selbstbestimmtheit zurückwirft.
In einer umfangreichen Analyse wertet Böhm fachdidaktische Konzepte hinsichtlich ihrer praktischen Anwendbarkeit auf die politische Bildung zu Makroverbrechen im Allgemeinen und dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg im Besonderen aus. Praktische Schwierigkeiten in der Balance zwischen Politik- und Geschichtsdidaktik sowie Menschenrechtsbildung spricht Böhm aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Bildungsarbeit am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und dem Memorium Nürnberger Prozesse sehr ehrlich und überzeugend an. Mit seiner Dissertation nimmt Böhm eine wissenschaftliche Begründung und Einordnung des Bildungskonzepts „Von Nürnberg nach Den Haag“ vor.
Boehm’s Fazit: Der IMT ist ein vollkommen unterschätzter Lernprozess in der deutschen Geschichte und in der politischen Bildung vermittelbar. Genau dafür zeigt Böhm exemplarische Lernwege auf. Eine Beschäftigung mit dem IMT kann zu einem höheren Menschenrechtsbewusstsein beitragen, auch wenn sich vielleicht wünschenswerte politische Handlungen der Weitergebildeten nicht automatisch ableiten lassen. Das Menschenrechtsbewusstsein motiviert aber zu einem stärkerem Engagement und einer Befähigung, sich für besonders verletzbare Menschen und Gruppen einzusetzen. Die Dissertation von Otto Böhm motiviert aber darüber hinaus zur praktischen Menschenrechtsarbeit und der intensiven Auseinandersetzung mit dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg in der (außer)schulischen politischen Bildung. Es sollte praktische Anwendung auch außerhalb Nürnbergs an den verschiedensten Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland erfahren.