von Otto Böhm
In Deutschland lässt sich wohl niemand finden, der mehr Erfahrung und Kompetenz im Überlappungsbereich von Philosophie, Menschenrechts-Praxis und Religionspolitik mitbringt als der Erlanger Professor Heiner Bielefeldt. Zusammen mit seinem Kollegen Michael Wiener, Mitarbeiter im UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf, stellt er jetzt die Religionsfreiheit auf den Prüfstand. Das Buch macht deutlich, von welchem ‘Kämpfen’ die Autoren ausgehen und wo sie sich selbst positionieren. Sie sprechen nicht wie Historiker von „vieldeutigen Signaturen“ (Jan Eckel in einem Beitrag unter diesem Titel in Sabrow/Weiß (Hg.): Das 20. Jahrhundert vermessen, Göttingen 2017, S. 284-304), sondern verteidigen als Praktiker eine klare Kontur: Ihre Eindeutigkeit zeigt sich aber weder in irgendeiner Art von Orthodoxie oder Abwehr von Pluralismus oder gar Voreingenommenheit für eine Religion oder Weltanschauung, sondern in der Präzisierung von Freiheit und Menschenwürde im Feld der Religionspolitik.
Ausgangspunkt ist für Bielefeldt/Wiener die Feststellung, dass die Religionsfreiheit von verschiedenen Seiten unter Druck gerät. Die größten Hindernisse für ihre konsequenten Verwirklichung bestehen nach wie vor in Gestalt des politischen, kulturellen und religiösen Autoritarismus, der mit dem Freiheits- und Gleichheitsanspruch der Menschenrechte von vornherein auf Kriegsfuß steht. Bei der Religionsfreiheit kommt freilich hinzu, „dass ihr paradoxerweise auch von liberaler Seite manchmal Skepsis entgegenschlägt, und zwar in einer Weise, wie das bei den Rechten auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, im Recht auf Bildung, kaum denkbar erscheint“ (S. 13). In dieser doppelten Frontstellung bewegt sich die Argumentation des Buches.
Den Autoren geht es dabei darum, sowohl die normativen Kontroversen als auch die konkreten Konflikte durchzuarbeiten und Lösungen im System der Menschenrechte zu verankern. Freiheit zu und Freiheit von Religion ist nicht nur normativ auszuhandeln, sondern eine „elementare Voraussetzung sinnvollen Miteinander-Sprechens und Miteinander-Handelns“ (S. 31). Im Fokus stehen nicht die Religionsgemeinschaften, die in Sachen Menschenrechte nicht immer einen guten Ruf haben, sondern die Individuen. Bielefeldt/Wiener verteidigen ‚Religion-Haben‘ oder ‚Religiös-Sein‘ als das elementare Freiheitsrecht des einzelnen Menschen. Das findet nicht immer nur individuell statt: zur Freiheit gehört die Praxis, der Ritus. Das Recht des Zeigens der Religion nach außen ist ebenso wie das forum internum(Glaube und Gewissen)zu verteidigen gegenüber dem Staat, aber auch innerhalb und gegenüber den Religionsgemeinschaften selbst. Staaten wiederum haben eine Verpflichtung, Menschenrechte auch gegenüber der Praxis von Religionsgemeinschaften durchzusetzen – mit Vorsicht und unter Anerkennung von deren Autonomie.
Die beiden Menschenrechts-Praktiker legen aber mehr als eine Proklamation und normative Herleitung vor. Sie weichen keinem Konflikt-Thema aus: Von der Definition von „Religionsgemeinschaft“ über die Scharia bis zur Frage nach dem Gewalt- oder Friedenspotenzial von Religionen. Dabei kehren bestimmte Stichworte und Konfliktlagen in dem übersichtlich gegliederten (10 etwa gleichgewichtige Kapitel) öfter wieder (Laizismus, Blasphemie, Zeugen Jehovas,..), manchmal mit Verweis, manchmal auch ohne, sodass der Eindruck von Wiederholungen entstehen kann. Zwei Testfälle der Religionsfreiheit werden eigens durchdekliniert – Genderfragen und Religionsunterricht –, denn gerade sie sind eine Quelle für Religionsskepsis und Konflikte.
Zum Verständnis der Herangehensweise der Autoren trägt bei, wenn man/frau sich bewusst macht, dass das Buch zuerst für ein internationales englischsprachiges Publikum geschrieben wurde (Religious Freedom Under Scrutiny, Pennsylvania Studies in Human Rights, 2019).
In der angelsächsischen akademischen Diskussion gibt es eine stärker ausgeprägte Kritik am Recht auf Religionsfreiheit. Der universalistische Anspruch der Menschenrechte wird gerade mit Blick auf eine angenommene westlich-protestantisch/freikirchliche Prägung des Anspruches auf Religionsfreiheit unter Hegemonieverdacht gestellt. Was man/frau möglicherweise gerade in diesem Zusammenhang vermissen könnte: dass fast keine der Autorinnen/Autoren eingeführt werden. So ist nicht immer leicht einzuschätzen, ob eine gewichtige oder eine marginale Stimme zitiert wird.
Insgesamt: Wer eine aktuelle Bestandsaufnahme tatsächlicher Konflikte in Verbindung mit einer systematischen menschenrechtlichen Begründung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit lesen will, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. Er/sie muss weder eine schlichte Diskursanalyse noch eine zivilreligiöse Programmschrift befürchten. Der Eifer von Bielefeldt/Wiener richtet sich gegen Eiferer in allen Lagern und nicht zuletzt auch gegen die, die Menschenrechte als Ersatzreligion missverstehen.