von Felix Krauß und Judith Scheibe
Unternehmerische Sorgfaltspflicht in der Rüstungsindustrie
Eine menschenrechtliche Auseinandersetzung mit der Waffenmesse in Nürnberg
Der vollständige Artikel steht auch als PDF-Datei hier zum Download bereit.
Weltweit leiden Millionen Menschen unter den Folgen bewaffneter Konflikte, wie beispielsweise Vertreibung und Zerstörung ziviler Infrastruktur. Aktuell lebt fast jedes fünfte Kind in einem Kriegs- oder Konfliktgebiet[1] und allein 2019 fielen über 76.000 Menschen bewaffneten Konflikten zum Opfer.[2] Bezeichnend ist hierbei, dass in den Regionen, die von Konflikten und politischem Umbruch geprägt sind, Militärausrüstung besonders stark nachgefragt wird. Zum Beispiel waren Saudi-Arabien, Indien und Ägypten die drei weltgrößten Waffenimporteure zwischen 2014 und 2019 – Länder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen sowie aktiver Beteiligung an bewaffneten Konflikten und interner Unterdrückung.[3]
Auf staatlicher und supranationaler Ebene folgen teilweise Reaktionen wie Beschränkungen von Waffenexporten in bestimmte Regionen und Regulierungen wie die EU-Anti-Folter-Verordnung, die den Handel gefährlicher Güter eindämmen sollen. Demgegenüber stehen Messeveranstaltungen, die den nationalen wie internationalen Handel mit Ausrüstung zur Strafverfolgung und Waffen fördern. Beispielhaft kann hier die NürnbergMesse angeführt werden.
Die NürnbergMesse bietet seit Jahren eine Plattform zum Austausch internationaler Aussteller*innen und Kund*innen aus dem Jagdsektor sowie Behörden im Rahmen zweier aufeinanderfolgender Waffenmessen. Diese wurden zwar 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie um ein Jahr verschoben, doch bietet die Zwangspause die Möglichkeit, die menschenrechtliche Problematik einer solchen Veranstaltung zu beleuchten. Nationale Gesetze sowie die EU-Anti-Folter-Verordnung dienen als rechtlicher Referenzrahmen, um die Zulassung von bestimmten Ausstellungsgütern zu regeln. Darüber hinaus besteht eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen, aber auch eine Achtung der völkerrechtlich verbrieften Menschenrechte.
Einige der auf der Messe vertretenen Länder[4] haben eine desaströse Menschenrechtsbilanz und es ist zu befürchten und teilweise nachgewiesen, dass die Waffenaussteller*innen in zahlreiche menschenrechtlich problematische Geschäfte weltweit verwickelt sind. Auch wenn waffenrechtlich verbotene Produkte nicht ausgestellt werden dürfen, bietet eine Messe dennoch die Möglichkeit über diesen Rahmen hinaus Geschäftskontakte aufzubauen. So ist es offensichtlich, dass Unternehmen im Bereich der Rüstungsbranche eine besonders große Verantwortung haben, um sicherzustellen, dass ihr Handeln von rechtlichen, sozialen und ethischen Regeln geprägt ist. Solch ein wirtschaftlicher Akteur ist auch eine Messeveranstaltung, auf der Sicherheitstechniken, Kriegswaffen und Militärausrüstungen ausgestellt werden.
Die beiden Messen IWA Outdoor Classics und Enforce Tac sind eng miteinander verwandt und finden direkt nacheinander auf dem Messegelände in Nürnberg statt (10.-15.03.2021). Während die IWA Outdoor Classics auch für nicht-Fachbesucher*innen geöffnet ist, ist die Enforce Tac nur für ausgewiesene Behördenmitarbeiter*innen mit vorheriger Registrierung zugänglich. Sieht man von den Messen in Deutschland ab, die sich auf Jagd- und Sportwaffen beschränken, ist neben wenigen anderen Veranstaltungsplattformen die Enforce Tac in Nürnberg eine der führenden Waffenmessen Deutschlands. Über 300 Aussteller*innen informieren die mehr als 4.500 Fachbesucher*innen über ein breites Angebot aus dem Bereich der Sicherheits- und Militärtechnik. Nicht umsonst erfreut sich die Messe an Besucher*innen aus der ganzen Welt. Auf beiden Messen werden zahlreiche Waffensysteme ausgestellt, wobei sich die Enforce Tac nochmals deutlicher an Behörden und Sicherheitskräfte wendet. Hierbei sind auch zahlreiche Aussteller*innen vertreten, die beispielsweise im Hinblick auf die EU-Antifolter-Verordnung mehr als kritisch beurteilt werden müssen.[5] Ebenso sind Hersteller*innen vertreten, von denen Mitarbeiter*innen in anderen Kontexten wegen illegalen Waffenexports gerichtlich verurteilt wurden.[6] Folglich stellt sich die Frage, wie die NürnbergMesse als Veranstalterin der beiden Waffenmessen menschenrechtliche Leiprinzipien einhalten kann.
Praktische Anwendbarkeit der UN-Leitprinzipien
Politische Bemühungen wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung unterstreichen die Anstrengungen, wirtschaftliche Akteure als Mitverantwortliche für die Umsetzung von Menschenrechten zu identifizieren.
Als internationaler Bezugsrahmen für Wirtschaft und Menschenrechte umfassen die UN-Leitprinzipien drei Säulen:
- die Pflicht des Staates zum Schutz der Menschenrechte,
- die Verantwortung des Unternehmens zur Achtung der Menschenrechte und
- der Zugang zu Abhilfe.
Vor allem menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen, die von bereits bestehenden, verbindlichen und unverbindlichen Menschenrechtsinstrumenten abgeleitet werden, stehen dabei im Mittelpunkt. Beispiele hierzu sind die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die ILO-Kernarbeitsnormen[7].
Zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedete die EU-Kommission im Jahr 2011 Eine neue EU-Strategie (2011-14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR) mit der Aufforderung zur Entwicklung von nationalen Aktionsplänen. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung soll folglich unter anderem dazu dienen, die praktische Anwendbarkeit der UN-Leitprinzipien für alle Akteure zu fördern und staatliche und unternehmerische Verantwortlichkeiten und Pflichten deutlich zu machen. Die Unternehmensleitung soll eine Grundsatzerklärung verabschieden und nach außen hin kommunizieren. Für die Branche besonders wichtige Menschenrechtsthemen müssen identifiziert sowie ein Verfahren zur Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ausgearbeitet werden.
Außerdem sind Unternehmen dazu angehalten, ein Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potenziell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte zu implementieren. Dies dient zur dauerhaften, prozessbegleitenden und branchenbezogenen Ermittlung, Prävention und Reduzierung möglicher menschenrechtlicher Risiken durch unternehmerisches Handeln. Nicht nur von den Unternehmen direkt verursachte Folgen, sondern auch indirekte Auswirkungen aufgrund von Geschäftsbeziehungen und -tätigkeiten sowie Produkten bzw. Dienstleistungen ohne direkte Vertragsbeziehungen sollen systematisch identifiziert werden. Mithilfe einer Übersicht über relevante unternehmerische Aktivitäten, inklusive Geschäftsbeziehungen und Wertschöpfungsketten, können mögliche Risikofelder unter Einbeziehung internationaler Menschenrechtsstandards, politischer Kontexte und vulnerabler Personengruppen ermittelt werden.
Auf Grundlage dieser Analyse sollen Maßnahmen zur Abwendung potenziell negativer Auswirkungen erarbeitet und in unternehmerisches Handeln implementiert werden. Zudem muss die Wirksamkeit dieser Maßnahmen regelmäßig überprüft werden. Die Zuweisung und Überprüfung eindeutiger Zuständigkeiten ist dabei essenziell. Entweder das Unternehmen selbst kann entsprechend der Art der Folgen Abhilfemaßnahmen einleiten oder im Falle fehlenden Einflussvermögens ist das Unternehmen dazu angehalten, mit anderen Akteuren zu kooperieren. Demzufolge ist eine Wirksamkeitskontrolle zur Überprüfung des Erfolgs der umgesetzten Maßnahmen und der Austausch mit betroffenen Personen(gruppen) notwendig.
Transparenz im Sinne der Bereitstellung von Informationen und Veröffentlichung einer Erklärung in Form einer regelmäßigen öffentlichen Berichterstattung ist hierbei unerlässlich. Dies muss das Bewusstsein über menschenrechtliche Auswirkungen der Geschäftstätigkeiten des Unternehmens und seines Umgangs damit transparent festhalten.
Ein Beschwerdemechanismus, der entweder selbst vom Unternehmen oder unter Beteiligung an externen Verfahren implementiert wird, dient der rechtzeitigen Ermittlung von möglichen oder tatsächlichen negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte. Um eine möglichst niederschwellige und faire Beschwerdemöglichkeit bereit stellen zu können, sollte die Zielgruppe bei der Erarbeitung mit einbezogen werden. Die Einrichtung eines anonymen Verfahrens unter Berücksichtigung internationaler Menschenrechtsstandards sollte zusätzlich umgesetzt werden.[8]
Die NürnbergMesse in der Verantwortung
Mithilfe der Umsetzung rechtlicher Vorschriften, die durch ein messeinternes Regelwerk allen Aussteller*innen vermittelt werden, und deren Einhaltung von Behörden kontrolliert wird, stellt die NürnbergMesse sicher, dass keine offensichtlich rechtswidrigen Geschäfte auf der Messe abgeschlossen werden. Das bedeutet unter anderem, dass das Ausstellen von in Deutschland illegalen Waffen extrem großen Hürden unterlegen ist und generell die Sicherung der Waffen regelmäßig kontrolliert wird. Nichtsdestotrotz stellen sich in Bezug auf die unternehmerische Sorgfaltspflicht zur Umsetzung von Menschenrechten Fragen, die über die Möglichkeiten der Kontrollen und gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen: Wie können die Veranstalter*innen der Waffenmesse sicherstellen, dass über die ausgestellten Produkte hinaus keine Geschäfte abgeschlossen werden, die rechtswidrig sind? Bedenklich hierbei ist beispielsweise, dass manche Aussteller*innen auf ihren Internetseiten Artikel anbieten, die nicht konform mit der EU-Anti-Folter-Verordnung sind. Des Weiteren ist nicht eindeutig ersichtlich, wie die NürnbergMesse gewährleisten kann, dass keine Geschäfte zwischen Aussteller*innen und Kund*innen abgeschlossen werden, die zu Menschenrechtsverletzungen führen.
Wie bereits erläutert, bieten die Waffenmessen eine Plattform für einen internationalen Austausch. Da zum Beispiel Aussteller*innen aus dem nicht-EU Ausland der EU-Anti-Folter-Verordnung nicht unterworfen sind, sind menschenrechtlich bedenkliche Geschäfte mit Kund*innen, die ebenfalls nicht den EU-Regulierungen unterlegen sind, möglich. Wie können die Veranstalter*innen dem entgegentreten? Gleiches gilt für Waffengeschäfte, deren Anbahnung auf der Messe stattfinden kann und die letztendlich negative Auswirkungen auf die Menschenrechtsbilanz in Konfliktregionen haben können.
Auch die Stadt Nürnberg und der Freistaat Bayern sind gefordert
Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, dass grundsätzlich auch Staaten angehalten sind, Menschenrechte, die durch unternehmerisches Handeln verletzt werden, zu schützen und entsprechende Abhilfe zu verschaffen. Die UN-Leitprinzipien sehen u.a. vor, dass sich Unternehmen,
„die sich in staatlichem Eigentum befinden oder unter staatlicher Kontrolle stehen oder von staatlichen Stellen wie Exportkreditagenturen und öffentlichen Investitionsversicherungs- oder Garantieagenturen erhebliche Unterstützung und Dienstleistungen erhalten“[9]
in besonderem Maße an die Sorgfaltspflicht halten müssen. Von staatlicher Seite könnte demnach die Wahrnehmung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für diese Unternehmen zur Auflage gemacht werden. In Anbetracht dessen, dass die Stadt Nürnberg und der Freistaat Bayern als Gesellschafter zusammen mit fast 100% am Unternehmen der NürnbergMesse beteiligt sind, ist es prüfenswert, ob dieses Prinzip bereits Anwendung findet.
[1] Studie der Kinderrechtsorganisation Save the Children und des Instituts für Friedensforschung in Oslo (PRIO): https://docplayer.org/125299420-Krieg-gegen-kinder-was-getan-werden-muss-um-kinder-in-bewaffneten-konflikten-zu-schuetzen.html
[2] UPPSALA Universität, UCDP: https://ucdp.uu.se/year/2019
[3] SIPRI: http://armstrade.sipri.org/armstrade/html/export_toplist.php
[4] IWA Outdoor Classics: Argentinien, Australien, Belarus, China, Hongkong, Indien, Israel, Japan, Kambodscha, Kanada, Kasachstan, Kirgistan, Korea, Libanon, Macao, Neuseeland, Pakistan, Philippinen, Russland, Südafrika, Taiwan, Türkei, Ukraine, Uruguay, VAE, USA.
Enforce Tac: China, Hongkong, Israel, Kanada, Korea, Philippinen, Serbien, Türkei, Schweiz, Ukraine, USA.
[5] Beispielsweise Aussteller*innen, die Daumenschellen, Elektroschocker und Fußfesseln vermarkten, die nach der EU-Anti-Folter-Verordnung als kritisch bzw. unzulässig eingestuft werden.
[6] Zum Beispiel Mitarbeiter*innen des Waffenherstellers Heckler & Koch aufgrund illegaler Geschäfte in Mexiko; Urteil vom 21.02.2019, Az.: 13 KLs 143 Js 38100/10: https://landgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Aktuelles/Urteil+im+Verfahren+gegen+Mitarbeiter+von+Heckler+_+Koch/?LISTPAGE=1195716
[7] Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung von Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit, Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.
[8] Vgl. Nationaler Aktionsplan: Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
[9] Geschäftsstelle Deutsches Global Compact Netzwerk (Hg): Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Umsetzung des Rahmens der Vereinten Nationen „Schutz, Achtung und Abhilfe“, S. 7.