Über Multikultur und Rassismus

11. März 2021 | Von | Kategorie: Rezensionen

Zwei Bücher, besprochen von Otto Böhm

 

Wolfgang Pohrt: Multikulturelle Gesellschaft & Rassismus für den gehobenen Bedarf. Zwei Vorträge. Unter Mitarbeit von Dietmar Dath. Berlin: edition TIAMAT (Critica Diabolis, 290), 2021, 120 Seiten

Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus. Islamophobie und Schuld. Berlin: edition TIAMAT (Critica Diabolis, 280), 2020, 237 Seiten

 

Konflikte um die Rechte von Menschen im Rahmen von Migration und Integration werden immer auch unter menschenrechtlichen Kriterien diskutiert und sind oft mit dem Schlagwort Multikulturalismus verbunden. Zu diesem Konzept liegen differenzierende Beiträge von Heiner Bielefeldt und Imke Leicht, beide Mitglieder des NMRZ, vor, von Heiner Bielefeldt „Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft. Plädoyer für einen aufgeklärten Multikulturalismus“ (Bielefeldt 2007) und Imke Leicht „Multikulturalismus auf dem Prüfstand. Kultur, Identität und Differenz in modernen Einwanderungsgesellschaften“ (Berlin 2009). Ein Ausgangspunkt für unsere Arbeitszusammenhänge könnte dabei mit Heiner Bielefeldt so formuliert sein:

„Gegen die Gefahr einer antipluralistischen Engführung des Integrationsdiskurses möchte ich für eine qualifizierte Anerkennung des Multikulturalismus plädieren. Die erforderliche Anerkennung gilt zunächst der irreversiblen Realität der multikulturellen Gesellschaft. Deren Kenntnisnahme sollte als Grundlage jeder Integrationspolitik selbstverständlich sein. Die Anerkennung der multikulturellen Gesellschaft – als Realität und als politisches Konzept – hat nichts mit naiver Romantisierung kultureller »Buntheit« zu tun. Zu einem aufgeklärten Multikulturalismus gehört ein behutsamer und reflektierter Umgang mit dem Kulturbegriff, der um die Kontingenz kultureller Konstrukte weiß.”

‚Multikulturalismus‘ ist aber auch ein Begriff der völkischen und nationalistischen Propaganda. Mit ihr nichts zu tun hat eine andere Polemik, auf die ich hier mit zwei Buchtipps hinweisen will: Sie handelt von den Blindheiten und Übertreibungen der (Selbst)Kritik europäischer Gesellschaften in Folge ihrer (post)kolonialen Vergangenheiten und ihrer Rassismen. Auch wenn die ‚Schlagseite‘ der Autoren nicht neu ist und ihr Ton eine gewisse Hörbereitschaft voraussetzt: ich lese Pascal Bruckner, den französischen Laizisten, und Wolfgang Pohrt, den im Jahr 2018 verstorbenen (anti)deutschen Linksradikalen, mit Interesse, aber auch mit der nötigen kritischen Distanz.

Der Pohrt-Fan Dietmar Dath stellt mit einem begleitenden Essay die beiden hier nach 30 Jahren wiederveröffentlichten Reden vor und deutet an, dass sie zuerst von historischem Interesse sind. Die Position kann heute so nicht mehr vertreten werden. Denn Pohrts Grundgedanke ist der: Einwanderer sollten die Staatsbürgerschaft haben, aber sonst in Ruhe gelassen werden und als ganz normale Bürger betrachtet werden, die hier nur ihr Auskommen und ihren Konsum haben wollen und den beengenden Verhältnissen ihrer Herkunftsländer entfliehen wollen (S. 65 ff.). ‚Multikulti’ wünsche sich dagegen, dass sie an den Lebensformen festhalten, die nur ihre Herkunft aus den ”kümmerlichen Produktionsverhältnissen widerspiegeln.”  (S. 49) Eine der letzten Veröffentlichungen Wolfgang Pohrts (Berlin 2012) hat denn auch den provozierenden und resignierenden Titel “Kapitalismus forever”.
Die Zugewanderten als Einwanderer zu betrachten, bedeute, dass sie gegenüber Staat und Gesellschaft die gleichen Rechte und Pflichten wie alle haben. Um diesen liberalen und individualistischen Grundgedanken herum (mit maßvoller sozialstaatlicher Ergänzung) entwickelt der Autor seine oft feuilletonistischen Ausschweifungen und sozialpsychologischen Spekulationen.
“Rassismus für den gehobenen Bedarf” – wer ist im Untertitel gemeint? Seit jeher hat der frühere Adorno-Schüler Pohrt, dem jede Gruppenzugehörigkeit zuwider ist (auch die linksradikale) den gehobenen, grün-alternativen Mittelstand als Lieblingsfeind.  Der liebe die fremde Kultur, sozusagen spiegelbildlich zum Hass derer, sie sie als Horrorvision beschwören.

Pascal Bruckner wird von seinem Berliner Verleger Klaus Bittermann als Verfechter der europäischen Aufklärung, des Laizismus und der universellen Menschenrechte vorgestellt. In seinen aktuellen und stark auf die französische Debatte bezogenen Interventionen greift der Pariser Intellektuelle jede Position an, die die menschenrechtlichen Freiheiten im Namen der Religion, vor allem eben des Islam, einengen will oder mit terroristischen Mitteln zerstört. Der notwendige Kampf gegen Rassismus vermische sich unter dem Begriff der Islamophobie mit einem eingebildeten Rassismus: Mit ihm werde Kritik an Muslimen oder Widerstand gegen religiös begründete Ansprüche als Rassismus zurückgewiesen und die Unterscheidung zwischen Religionsfreiheit, also Ausübung der Religion, und Religion als kulturelle Hegemonie, unterlaufen. Religionen müssten kritisiert werden dürfen. Ihre Gründer müssten, so Bruckner in Voltaire`scher Manier, als die größten Betrüger der Weltgeschichte bezeichnet werden dürfen. Dafür dürfe niemand vor Gericht gestellt werden. Die Frage, ob das politisch klug und kommunikativ angemessen und anständig ist, kümmert ihn nicht.
In diesem Zusammenhang weist Bruckner auf eine schiefe Optik von Antirassisten hin: Niemand würde analog zu Islamophobie von Christianophobie sprechen, auch wenn die Christen im Nahen Osten vertrieben oder ausgerottet werden. Bruckner vertritt das Prinzip, dass der Aufklärung weltweit gegenüber dem Islam das Gleiche möglich sein muss wie gegenüber dem Christentum. Die Matrix für diese heutige Blindheit sieht er schon seit 1979, als der seit Jahren akademische Welten prägende Michel Foucault in den Iran fuhr, um Khomeinis Revolution zu begrüßen.
Bruckners Kritik richtet sich gegen einen Antirassismus, der sich immer mehr gegen Verhaltensweisen und Einstellungen richtet, die bislang mit Rassismus nichts zu tun hatten. Er nennt das „Lobbyismus, dem es um Aufmerksamkeit und Reparationen gehe“ (S. 25). Dies ist sicher ein für viele Aktivistinnen und Aktivisten kränkender Vorwurf. Aber auch sie finden sich notwendigerweise in dieser menschenrechtlichen Grundspannung: „Genau dies kennzeichnet die Ambivalenz des Antirassismus und Multikulturalismus: Einerseits verteidigt er die Menschheit als eine einzige große Familie, andererseits sieht er in den kulturellen Unterschieden wiederum einzelne gegen die Gesamtheit zu verteidigende und schützenswerte, besondere Bereiche.“ (S. 28)
Die Debatte wird um Fragen der Schuld, des Leidens und des Opfer-Seins geführt. Der Westen habe hier kein Monopol auf Barbareien, auch die ehemals kolonisierten Länder seien fähig gewesen, ihre Nachbarn zu überfallen und ausrauben, einzusperren und ihre Bevölkerungen verarmen zu lassen. ‚Westliche Reue‘ und ‚westlicher Selbsthass‘ ((Bruckner wurde hierzulande mit dem Titel „Das Schluchzen des weißen Mannes“ (Berlin 1983) bekannt)) führen in die Irre.
Sicher muss am Ende gefragt werden: Stimmt das alles? Wie fundiert Bruckner seine kompromisslose Position, was ist seine Methode? Sein Stil ist, Früchte und Blüten aus der Geistesgeschichte zusammen zu binden, aktuelle Stimmen vom Papst bis zum passenden Pariser Soziologen mit der Interpretation realer Konflikte der französischen Einwanderergesellschaft zu vermischen, um dann mit großer Geste den naiven oder sympathisierenden Umgang mit einer großen Gefahr zu entlarven.  Das liest sich dann alles sehr elegant und flott. Aber man möchte doch gerne zu den einzelnen Konfliktfeldern noch mehr wissen, zu den zitierten Stimmen noch Profile und Motive usw. erfahren. In jedem Fall kann „Der eingebildete Rassismus“ als Beschreibung von Kampflinien im öffentlichen Diskurs Frankreichs gelesen werden, der jenseits des Rheines viel schärfer konturiert ist als diesseits.

Hierzulande hat sich der Begriff Multikulturalismus deskriptiv wie normativ schon durchgesetzt, so das Fazit von Heiner Bielefeldt. „Gegen die Verwechslung oder Vermischung mit partikularen kulturellen Wertvorstellungen“ (S. 196), die damit einhergehen, müsse die orientierende Funktion der Menschenrechte mit ihrem normativen Universalismus jedoch immer zu Geltung gebracht werden. In diesem Sinne kann man auch Pohrt und Bruckner lesen.

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