Eva Berendsen / Cheema Saba-Nur / Mendel Meron (HG.): TriggerWarnung : Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen (Edition Bildungsstätte Anne Frank 1) Berlin, Verbrecher Verlag, 263 Seiten

22. Juni 2021 | Von | Kategorie: Rezensionen, Menschenrechtsbildung

von Otto Böhm

 

Auf 260 Seiten 22 Beiträge von politisch, fachlich und stilistisch ganz unterschiedlichen Autorinnen und Autoren querfeldein durch die akademischen und politischen Konflikte und Kontroversen der Identitätspolitik! Der vorliegende Diskussionsband ist das Ergebnis eines Aufrufs der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt/Main „zur Öffnung der Debatte“. Er ist gegliedert in „Verortungen“, „Verstrickungen“ und „Verhandlungen“.

Die Sammlung ist schon zwei Jahre alt, entstand also vor Black Lives Matter, der Mbembe-Diskussion, den Anschlägen von Halle und Hanau und der endgültigen Stabilisierung der AfD. Die 3. Auflage, die jetzt vorliegt, enthält ein Nachwort, das auf die breite Rezeption der „TriggerWarnung“ reagiert und die Motive zusammenfasst. Die identitätspolitische Debatte nehme inzwischen zu  Recht einen großen Raum ein, die berechtigten Fragen nach Repräsentanz, Deutungshoheit und Macht im Kulturbetrieb würden aber von einem „essentialistischen“ Verständnis von Identität stark beeinträchtigt. Identitätspolitik habe dagegen ursprünglich in den Vereinigten Staaten als Kritik am Gleichheitsversprechen liberaler Demokratien und als ein Sichtbarmachen von Mikroaggressionen begonnen. Hierzulande angekommen, gehe es auch um eine linke Abwehr der rechtspopulistischen Häme gegenüber marginalisierten Gruppen. Deren Anliegen dürften nicht gegen soziale Ziele ausgespielt werden.

Aber zurück zum Ausgangspunkt: Das Herausgeber-Team Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank rechnet sich der emanzipatorischen, progressiven und solidarischen Linken zu. Sie haben bei ihrer publizistischen und pädagogischen Arbeit aber ein Problem mit der linken Identitätspolitik und der Allgegenwart von Triggerwarnungen,[1] „Safe Space“ Forderungen und „Cancel Culture“. Ihre Kritik linker Identitätspolitik richtet sich gegen Symbolpolitik, ihr geht es um eine Öffnung des elitären, exklusiven, möglichst korrekten Jargons. „Der Ruf nach Trigger-Warnungen und Safe Spaces bringt eine Tendenz linker Identitätspolitik auf den Begriff, die wir für problematisch, mehr noch: für grundfalsch halten.“ Das beginnt mit der Verallgemeinerung der medizinischen und klinischen Beschäftigung des Triggerns aus der Traumaforschung in politisierter Absicht. „Er wird zum Mittel, unbequeme Positionen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.“ (so der Sozialpsychologe und Psychoanalytiker Markus Brunner). Der Politikwissenschaftler Massimo Perinelli macht den Versuch einer historischen Einordnung der genannten Phänomene unter dem Titel „Critical Whiteness und das Ende antirassistischer Bewegung“. Und mutig fragt die Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker: „Aufstieg von Rechts: Welche Schuld trägt Links?“ Für die politische Auseinandersetzung didaktisch interessant ist, was Deborah Krieg, die auch zum Team der Bildungsstätte Anne Frank gehört und dort das Lernlabor Anne Frank eingerichtet hat, unter dem Titel „Alles nur geklaut? WTF ist eigentlich Cultural Appropriation?“[2] vorschlägt. Ihre Beispiele sind der Totempfahl auf dem Spielplatz, die Buddha-Statuen im Baumarkt, Tattoos und Dreadlocks.

Insgesamt: Der Untertitel „Abwehr, Abschottung und Allianzen“ fasst die Anliegen gut zusammen. Die Beiträge des Bandes setzen sich mit einem Mangel an Selbstreflexion in der Mehrheitsgesellschaft, mit der Abschottung der identitätspolitischen Gruppen und mit der Frage von Allianzen zwischen einzelnen identitätspolitischen Gruppen auseinander. Die Lektüre kann auch mit den 10 Punkten am Schluss begonnen werden, die einige Selbstverständlichkeiten für die Bildungsarbeit formulieren: Marginalisierte haben nicht immer recht, auch Betroffenheitsperspektiven widersprechen sich; Opferkonkurrenz ist unproduktiv; selbstverständlich sollte sein,  auch für jemanden einzutreten, mit dem man nicht ‚identisch‘ ist.

Die Resonanz deutet auf einen Reflexionsbedarf im Bildungsbereich hin. Denn hier gelten Postulate wie den unterschiedlichsten Betroffenheiten sprachlich und kognitiv gerecht zu werden oder den geschichtlichen und menschenrechtlichen Bezug der jeweiligen Identität/Gruppe zu verstehen. Diversität heißt nicht nur Anerkennung von Pluralität, sondern auch das Ausbalancieren, das Verstricktsein und das Verhandeln der Themen, unabhängig davon, ob Betroffene anwesend sind und ihre Stimme erheben. Präsent ist wohl in jedem Fall der öffentliche Druck und Spott sowie ein „Kulturkampf von Rechts“. Wer diese Aufgabenbeschreibung teilt, dem hilft der Band weiter, auch wenn mancher Beitrag etwas ‚hingeworfen‘ wirkt.

 

[1] „Der Begriff »Trigger« stammt aus der Traumatheorie und bezeichnet bestimmte Reize, die unwillkürlich die Erinnerung an ein zurückliegendes Trauma auslösen und dadurch Flashbacks hervorrufen können.“

 

 

[2] Ausgeschrieben bedeutet „WTF“ „what the f*ck?“ Was WTF meint, wird im Artikel nicht aufgelöst, sollte also bekannt sein!?!

 

 

 

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