„Comisiones de búsqueda en América Latina: Una apuesta extraordinaria por la integralidad en la investigación de las desapariciones“ (Suchkommissionen in Lateinamerika: Ein außerordentliches Engagement für einen integralen Ansatz bei der Aufklärung des Verschwindenlassens)
von Daniela Fuentes –
Das Verschwindenlassen von Menschen stellt eine schwere Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen dar. Es handelt sich um ein weltweites Problem, das in verschiedenen Epochen der Geschichte aufgetreten ist, beispielsweise in Militärdiktaturen und bewaffneten Konflikten. Das Verschwindenlassen von Personen ist jedoch nicht auf Militärdiktaturen beschränkt, sondern kommt auch in Ländern mit demokratischen Strukturen vor.
Laut dem Bericht der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für erzwungenes oder unfreiwilliges Verschwinden von Personen gehören zu Lateinamerika sechs der zehn Länder, in denen zwischen 1980 und 2020 die meisten Fälle von erzwungenem Verschwinden auftreten.
Angesichts der Zunahme dieser Menschenrechtsverletzung und der Ineffizienz der für die Ermittlung und Verfolgung der Verbrechen zuständigen Stellen, wurden in mehreren lateinamerikanischen Ländern spezifische „Suchkommissionen“ außerhalb bzw. neben den etablierten Institution von Justiz und Verwaltung eingerichtet.
Ein interessanter Beitrag zu den Suchkommissionen stammt aus einer von Rainer Huhle zusammen mit Verónica Hinestroza und Iris Jave verfassten Studie, die vor kurzem auf Spanisch veröffentlicht wurde. Der Titel der Studie lautet „Suchkommissionen in Lateinamerika: Ein außerordentliches Engagement für einen integralen Ansatz bei der Aufklärung des Verschwindenlassens“. Die AutorInnen führen eine vergleichende Studie über die Suchkommissionen vier lateinamerikanischen Ländern (Mexiko, Peru, El Salvador und Kolumbien) durch.
Die Studie beschreibt den Kontext, in dem die verschiedenen Suchkommissionen eingerichtet wurden, dazu ihr Mandat und ihre Rechtsgrundlage. Sowohl die Stärken als auch die Herausforderungen der Suchkommissionen werden analysiert, dazu wird eine Reihe von Empfehlungen vorgelegt.
Für die Ausarbeitung dieser Studie wurden Dokumentenanalysen, Fragebögen und Interviews mit staatlichen Akteuren, Vertretern von Angehörigen und Opfern, Mitgliedern der Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen sowie forensischen Experten und unabhängigen Forschern durchgeführt.
Drei der in dieser Studie analysierten Suchkommissionen sind in einem Post-Konflikt-Kontext entstanden, und zwar die „Generaldirektion für die Suche nach verschwundenen Personen“ (Dirección General de Búsqueda de Personas Desaparecidas) in Peru, die “Nationale Kommission für die Suche nach verschwundenen Erwachsenen im Kontext des bewaffneten Konflikts“ (Comisión Nacional de Búsqueda de Personas Adultas Desaparecidas en el contexto del Conflicto Armado) in El Salvador sowie die „Abteilung für die Suche nach Personen, die im Zusammenhang mit und als Folge von bewaffneten Konflikten als vermisst gemeldet wurden“ (Unidad de Búsqueda de Personas dadas por Desaparecidas en el Contexto y en Razón del Conflicto Armado) in Kolumbien. Im Gegensatz dazu wurde in Mexiko die „Nationale Suchkommission“ (Comisión Nacional de Búsqueda) eingerichtet, die von parallelen Kommissionen in jedem mexikanischen Bundesstaat begleitet wird und neben den zahlreichen Verschwundenen aus vergangenen Jahrzehnten auch für die sofortige Suche in Fällen neuen Verschwindens zuständig ist.
Die Dauer des Mandats der Suchkommissionen ist je nach der Rechtsgrundlage, auf der sie beruhen, unterschiedlich. Die salvadorianische, die peruanische und die mexikanische Suchkommission haben ein zeitlich unbefristetes Mandat, während die kolumbianische Suchkommission 20 Jahre nach ihrer Einrichtung geschlossen werden muss.
Im Hinblick auf eine wirksame Suche stellt die Studie fest, dass nicht nur eine Koordinierung zwischen den Institutionen der verschiedenen Regierungsebenen erforderlich ist, sondern auch eine umfassende öffentliche Politik, die sich auf eine angemessene Gesetzgebung stützt, die durch die Rechtsprechung der Verfassungsnormen und des internationalen Rechts unterstützt wird.
Die Notwendigkeit der Unterstützung bei der Suche durch verschiedene Disziplinen wird hervorgehoben, ebenso wie eine konstruktive Arbeitsbeziehung mit den Ermittlungsbehörden.
Den Verfassern zufolge besteht ein Ziel der Kommissionen auch darin, einen alternativen, ergänzenden und integralen Mechanismus zu schaffen, der die öffentliche Politik des Staates für einen effizienten Suchprozess stärkt.
Die Suchkommissionen können sich auf die Analyse des Verschwindenlassens und die Suche nach den verschwundenen Personen konzentrieren ausrichten, da sie keinejustiziellen Aufgaben und Kompetenzen haben. Andererseits bieten sie einen privilegierten Raum für die Interaktion mit den Angehörigen der Verschwundenen. Darin liegen einige der Stärken der Suchkommissionen.
Zu den beschriebenen Herausforderungen gehören die Wiederherstellung des Vertrauens der Zivilgesellschaft in die Suchkommissionen, der Zugang zu neuen Technologien und zu Personal aus verschiedenen Disziplinen, um die Arbeit zu beschleunigen und zu verbessern, die Konsolidierung des Wissensaustauschs im Bereich der Forensik sowie die Notwendigkeit eines integrierten Informationssystems.
Die Einsetzung einer Suchkommission sollte Teil einer umfassenden staatlichen Politik in Bezug auf das Verschwindenlassen von Personen sein. Diese sollte alle Institutionen umfassen, die eine Rolle bei der Wahrheitsfindung, der Rechtsprechung und der Festlegung von administrativen oder gerichtlichen Entschädigungen für die Opfer und Angehörigen des Verschwindenlassens spielen.
In Kontexten, in denen das Verschwindenlassen von Personen mit Menschenhandel und Migrationsphänomenen zusammenhängt, sollte die interinstitutionelle Zusammenarbeit auf die Transit- und Aufnahmeländer der Opfer ausgedehnt werden. Diese Zusammenarbeit erfordert eine Koordinierung zwischen Institutionen, unabhängigen Teams (Experten oder Forensiker), Expertennetzen und internationalen Akademikern.
Die Studie enthält eine Reihe von Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen Ermittlungsbehörden und Suchkommissionen, z. B. für den Zugang zu den erforderlichen Informationen, den Zugang zu Grundstücken, Gebäuden und Anlagen.
Unter den Empfehlungen stechen diejenigen hervor, die sich an die Ermittlungsbehörden richten, sowie diejenigen, die sich auf vermisste Personen während der Migration beziehen. In dem Bericht werden auch das statistische System und die Datenbanken kritisiert und Leitlinien für die Festlegung von Prioritäten für das Suchsystem aufgestellt.
Einer der wichtigsten und interessantesten Punkte der Studie ist, dass sie die Bedeutung der Etablierung und Legitimierung einer gesellschaftlich relevanten Erzählung des Verschwinden(lassen)s hervorhebt. Indem das Drama des Verschwindenlassens sichtbar gemacht wird, kann auch das Vertrauen der Bürger in die Suchkommissionen und die andern zuständigen Institutionen wieder hergestellt werden, sofern die Menschen, insbesondere die Familien, reale Anstrengungen bei ihnen erkennen. Nicht nur das Auffinden verschwundener Personen ist Maßstab für den Erfolg der Suchkommissionen, er liegt auch in der Wahrheitsfindung und der kollektiven Erinnerung an das Verschwindenlassen sowie in der immateriellen Wiedergutmachung für die Angehörigen der Verschwundenen.
Die Kontrolle der Tätigkeit der Suchkommissionen spielt eine große Rolle, da dies zu ihrer Analyse und Verbesserung beiträgt. Diese Studie bietet eine vergleichende Analyse, die die Funktionsweise der verschiedenen Suchkommissionen in Lateinamerika untersucht und sowohl ihre Stärke als auch ihre Herausforderungen klar und konkret benennt. Die oben genannten Empfehlungen wurden nicht nur in Bezug auf bestimmte Institutionen und Akteure formuliert, sondern auch in einer ganzheitlichen Weise, was einen wichtigen Beitrag im Bereich des Verschwindenlassens darstellt.