von Otto Böhm
CPH am 2.2.2024
Vorbemerkung:
Für einen Lern- und Denkort liegt ein pädagogisches Konzept von Doris Katheder (2022) mit Anmerkungen von Klaus Stadler und Siegried Grillmeyer vor.
Frau Prof. Dr. Bühl-Gramer hat im Jahr 2012 den für die Einbettung in die Nürnberger Erinnerungslandschaft einschlägigen Aufsatz zu „Nürnberg als “Stadt des Friedens und der Menschenrechte – Aspekte einer geschichtskulturellen Analyse“ in der Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 9, S. 98–115 veröffentlicht.
Ich werde hier nur kurz einige Schichten und Blickwinkel aus der Perspektive der langjährigen Bildungsarbeit des NMRZ auflisten.
Fünf Motive und Erfahrungsschichten in Nürnberg
- Ein lokal und regional verankerter Lern- und Gedenkort zu Flucht Migration und Menschenrechten in Nürnberg bezieht sich auf die bitteren Erfahrungen von Entrechtung, Flucht, Deportation und Ermordung von vielen Menschen in der Zeit von 33 – 45 bzw. durch die Nationalsozialisten. Aus diesem historischen Erfahrungszusammenhang entsteht ein Motiv, das viele Menschen für das Menschenrecht auf Asyl und für Flüchtlings-Solidarität eintreten lässt. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass vielen Menschen aus Deutschland damals das Leben gerettet worden wäre, wenn sie nur einen Aufenthaltsort gefunden hätten. (Das Studienforum des Dokuzentrums Reichsparteitage wäre ein Ort, diesen Zusammenhang zu thematisieren.)
- „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. In den 1970er und 80er Jahren war es für die in Nürnberg entstehende Lateinamerika-Solidaritätsarbeit ein Auftrag, einzelnen Verfolgten den Weg nach Deutschland, konkret in die Region zu bahnen. Die fortgesetzte Unterstützung von Menschenrechtsgruppen, vor allem in Chile, Argentinien, Peru und Kolumbien führte zur Gründung des Nürnberger Menschenrechtszentrums. Wir verstehen uns dementsprechend als ein Lernort mit Bezug auf diese lateinamerikanischen Erfahrungen.
- Mit den damals sogenannten Gastarbeitern kamen auch politische Gegner der Diktaturen Südeuropas, von Portugal bis zur Türkei, hierher. Einige von ihnen waren am Projekt Ausländerbeirat beteiligt; in dem entsprechenden Milieu entstand auch organisierte Solidarität und kultureller Austausch. Unter anderen entstanden die Deutsch-Griechische Initiative Nürnberg DEGRIN oder die Mutterkind-Stube in Gostenhof. Migration wurde hier zum Alltagshintergrund und war nicht mehr die Ausnahmesituation des Exils oder des Asyls. Die entsprechenden Initiativen hatten jederzeit auch ein bildungsprogrammatisches Selbstverständnis, z.B. Antidiskriminierungsarbeit, Rechte stärken, Einsatz für eine volle Staatsbürgerschaft ohne Liquidation der Herkunftskultur.
- Mit Beginn der 90er Jahre erweiterte sich der Kreis der Asylsuchenden um die Gruppe der Menschen, die aus ökologischen und ökonomischen Gründen ihre Heimat verlassen hatten. Flucht und Migration standen so in einem noch engeren Zusammenhang. Das war der Ansatzpunkt der damals erstarkenden Gruppen der nationalistischen und terroristischen Rechtsradikalen. Ihre rassistische Agitation und die tödlichen Folgen wurden zu einer starken Motivation in der Solidaritäts- und Bildungsarbeit. Ende der 1990er Jahre hatte es sich der Nationalsozialistische Untergrund/NSU in einer weiteren Radikalisierungsstufe zum Ziel gesetzt, systematischen Schrecken bei allen Einwanderer- und Flüchtlingsgruppen zu verbreiten; das Denkmal an der Straße der Menschenrechte erinnert an die Opfer und mahnt zur Wachsamkeit.
- In der Stadt der Menschenrechte ging die Flüchtlingssolidarität nie spannungsfrei in der Politik auf. Auch am Runden Tisch Menschenrechte, den die Stadt zusammen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen Mitte der 1990er Jahre eingerichtet hatte, gab es viele Konfliktfälle, vor allem bei drohenden Abschiebungen von Menschen mit Bleiberecht. Vor diesem Hintergrund liegt der Gedanke an ein möglichst unabhängiges Lernzentrum Flucht, Migration und Menschenrechte Schließlich soll ein Zentrum auch Rechte verteidigen, die unter dem politischen Druck gefährdet sind. Hier sollten auch die Gruppen und ihre Anstrengungen erwähnt werden, die sich zu alternativen Menschenrechtsberichten zusammengefunden haben. Oder auch das jüngste Engagement in Nürnberg gegen die völkerrechtlich verbotene Abschiebung oder Auslieferung in Länder, in denen Folter und/oder Verschwindenlassen oder willkürliche Haft drohen, (also der sog. Fall Banu).
Vier Perspektiven für eine historisch-politische Menschenrechtsbildung
- Bildungsarbeit ist nicht primär politische Kampagnen-Arbeit. Ihr geht es nicht darum, die schon Einsichtigen und Engagierten zu mobilisieren. Vielmehr greift sie auch im Bereich Migration kontroverse Themen auf, gemäß ihren Prinzipien von Nichtüberwältigung, Kontroversität und Diskursivität.
- Wir alle bewegen uns in den oft polemischen und volksverhetzenden Kontroversen um Migration, das muss nicht ausgeführt werden; hier kommen wir nicht darum herum, Stichworte und Kontroversen wie den Streit über die Seenotrettung aufzugreifen. (In der anerkannten Zeitschrift Politikum wird sogar offen gefragt, ob Migrationspolitik überhaupt menschenrechtskonform sein kann).
- Am Ende streben wir aber doch eine politische Urteilsbildung in menschenrechtlicher Perspektive an. Es gilt, die Einhaltung der Menschenrechte in der Migrations- und Flüchtlingspolitik einzuklagen. Dazu ist ein enger Begriff von Migration nützlich, der nicht vom anthropologischen Faktum Migration ausgeht. Es geht vielmehr darum, genauer die historischen, geografischen und politischen Lebensbedingungen unter dem Maßstab der Menschenrechte zu beurteilen.
- Auch für Nürnberg gilt das verbreitete Desiderat: Für und mit Menschen in Migrations- und Fluchtsituationen sind neue Ansätze in der etablierten Erinnerungskultur nötig. Und was unter dem Begriff Postkolonialismus als Kritik formuliert wird, kann nicht ignoriert werden. Zudem müssen wir uns mit neuen Formen von Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzen.
Fazit: Es gibt eine Vielfalt von Orten und Ansätzen in der Stadt, die das Thema Flucht, Migration und Menschenrechte, bearbeiten, bzw. an die es anschlussfähig ist. Aber der großen Bedeutung dieses politischen und menschenrechtlichen Zentralkonfliktes würde ein eigenständiger Lern- und Erinnerungsort wohl gerechter werden.
(2022 wurde von Doris Katheder (damals noch hier im Haus) ein ausführliches Konzept erarbeitet.)