Lieber einen falschen Frieden als keinen Frieden?

11. November 2001 | Von | Kategorie: Strafgerichtsbarkeit

von Setareh Khalilian*

Der Versuch eines internationalen Strafgerichtshofes für die Verbrechen der Khmer Rouge, Kambodscha.

Die Bevölkerung Kambodschas ist Opfer in mehrfacher Hinsicht, und das schon seit mindestens drei Jahrzehnten. Sie ist Opfer von Krieg, Bürgerkrieg und groben Menschenrechtsverletzungen, die in gewissen Jahren die Züge eines Genozids trugen – Opfer ausländischer Regierungen, Besatzungsmacht und vor allem der eigenen Regierung. Am verheerendsten wirkte die Schreckensherrschaft der Khmer Rouge im „Demokratischen Kampuchea“ (1975-1979), die etwa 1,7 Millionen Menschen das Leben kostete. Das macht ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung das Landes aus und kann als Völkermord am eigenen Volk bezeichnet werden. Täter und Opfer waren die Bürger eines Landes, die Überlebenden und die Verantwortlichen sind Nachbarn noch heute. Gehören die ehemaligen Führer der Khmer Rouge vor ein Kriegsverbrechertribunal, damit das Volk und die jetzige Regierung durch Wahrheit und Gerechtigkeit mit diesem Erbe Kambodschas abschließen können? Und wie muss so ein Tribunal aussehen, um diesem Zweck gerecht zu werden – ist die Bestrafung der Verbrechen von Kambodschanern an Kambodschaner eine nationale Angelegenheit oder gilt die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und müssen Verstöße hiergegen auch unter internationalen Kriterien bestraft werden? Diese Fragen sind unvermeidlich in den jetzigen Verhandlungen der UNO mit der Kambodschanischen Regierung Hun Sens um das Errichten eines internationalen Strafgerichtshofes in Kambodscha, das sich mit den Verbrechen zur Zeit des „Demokratischen Kampuchea“ auseinandersetzen soll.

Die Roten Khmer und die politische Entwicklung danach

Die Verbrechen der Roten Khmer können als akribisch und genauestens geplanter Massenmord an ungefähr 1,5 Millionen Menschen bezeichnet werden, was etwa einem Fünftel der Bevölkerung Kambodschas entspricht. Hunderttausende wurden exekutiert, dabei machen die unzähligen Hinrichtungen „nur“ etwa 31% der Toten aus, die das Khmer-Rouge-Regime zu verantworten hat. Die restlichen Opfer verhungerten, starben an Krankheit, Überarbeitung in der Zwangsarbeit oder in Folge der zahlreichen Zwangsverschleppungen.

Unter dem „ersten Bruder“ Pol Pot und dem „zweiten Bruder“ Ieng Sary führten die Roten Khmer lange Todeslisten und erstellten genaues Beweismaterial, so dass die Forscher der Yale University auf etwa 500.000 Seiten mit Verhör- und Folterprotokollen, Geständnissen, Listen, Fotos und dergleichen gestoßen sind und über 8000 Massengräber lokalisieren konnten. Es gibt zweifelsohne genügend Beweismaterial für ein Kriegsverbrechertribunal.

Auch nach dem Sturz der Khmer Rouge war den Bewohnern Kambodschas keine Zeit des Friedens und der Sicherheit vergönnt. Statt dessen war die Geschichte Kambodschas durch kontinuierliche Machtkämpfe, korrupte Regierungen und weiterhin zahllose Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet. Das Khmer-Rouge-Regime fand sein Ende mit dem Einmarsch vietnamesischer Truppen 1979. Kambodscha wurde besetzt und eine pro-vietnamesische Regierung der CPP unter Hun Sen eingesetzt. Bis zum Abzug der Vietnamesen in 1989 wütete ein Guerillakrieg der Roten Khmer gegen die Besatzungsmacht. 1991 wurde schließlich ein Friedensabkommen unterzeichnet, womit die UN eine zweijährige Übergangsverwaltung in Kambodscha übernahm (UNTAC 1991-1993). Während dieser Zeit wurde unter anderem an dem Aufbau einer freien Presse gearbeitet, doch seit dem Putschversuch der CPP, die Nachfolgepartei der Regierung während der 10-jährigen vietnamesischen Besatzung, wieder rückgängig gemacht. Seit Abzug der UNO Truppen häuften sich auch Morde durch Polizisten und Militärs. Demokratische Wahlen wurden 1993 durchgeführt und führten zum Sieg der FUNCINPEC (Nationale Vereinte Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches and kooperatives Kambodscha) und der Proklamation des „Königreichs Kambodscha“. Der Sohn König Sihanuks, Prinz Ranariddh, gelangte zur Macht und regierte eine Zeit lang Seite and Seite mit Hun Sen, bis dieser in einem Quasi-Putsch sich selbst zum alleinigen Premierminister erklärte und Prinz Ranariddh den Posten des Vorsitzenden der Nationalversammlung zuteilte. Hun Sen war, wie viele Regierungs- und Oppositionsmitglieder, früher selbst ein Roter Khmer. Er mutierte jedoch in den 80ern zum Herrscher von Vietnams Gnaden – seine Alleinherrschaft war zutiefst korrupt. Rücksichtslos soll er Oppositionelle verhaftet haben.

Mittlerweile spalteten sich die Rebellen, nach 33 Jahren Kampf: Ieng Sary, lange Jahre Bruder Nummer zwei nach Pol Pot, sagte sich im August 1996 von den Guerillatruppen los. Dieser Ex-Außenminister kommandiert 300 Mann, was womöglich die halbe Kampfkraft der Pol-Pot Armee konstituiert und kontrolliert noch dazu die Gegend um Pailin im Nordwesten, das Zentrum des Handels mit Tropenhölzern und Edelsteinen – die Geldquelle der Roten Khmer. Ieng Sary wurde 1979 in Abwesenheit wegen Massenmordes zu Tode Verurteilt, doch König Sihanouk entschloss sich, ihn zu begnadigen. Hun Sen hatte die Amnestie gefordert. So hofft die Regierung, weitere Pol Pot-Gefährten anzulocken um vielleicht bald auf die verlustreichen Feldzüge, die sie alle Jahre in der Trockenzeit führt, verzichten zu können.

Jedoch bedeutet das nicht, so wird von Seiten der Regierung beteuert, dass nicht mehr nach Beweisen gesucht wird. Man werde nicht zögern, die Angeklagten einem internationalen Kriegsverbrechertribunal auszuliefern, hieß es. Amnesty International äußerte sich sehr kritisch diesbezüglich und erklärte, dass dies eine Unzumutbarkeit den Opfern gegenüber sei und erinnerte ferner daran, dass 1997 und 1998 die Regierung selbst nach internationaler Hilfe und Unterstützung der UN bei der Verurteilung einiger Verbrecher der Khmer Rouge Zeit gebeten hat. Amnesty forderte, aus dem Zirkel der Straflosigkeit herauszukommen und endlich mit der UN zu kooperieren, um einen Internationalen Gerichtshof aufzubauen, der

so weit wie möglich Gerechtigkeit nach Kambodscha bringen soll.

Verhandlungen um ein Khmer-Rouge-Tribunal

Der Führer der Khmer Rouge, Pol Pot, ist tot. Aber viele seiner Heerführer leben noch und können sich bislang in Kambodscha frei bewegen. Premierminister Hun Sen hat den ranghöchsten Khmer-Rouge-Offizieren Ieng Sary, Nuon Chea und Khieu Sampan Straffreiheit im Tausch gegen ihre Loyalität zugesichert, um seine Kontrolle über die Politik des Staates zu festigen. Der einzige inhaftierte hochrangige Khmer-Rouge-Offizier, Ta Mok, der im September 1999 vor einem Militärgericht wegen Völkermord angeklagt wurde, hatte den Zorn des Premierministers auf sich gezogen, weil er bis zu seiner Verhaftung den militanten Widerstand der letzten Khmer-Rouge-Einheiten organisiert hatte. Im April 1997 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution (1997/49), die den Generalsekretär beauftragte, einen Antrag auf Unterstützung bei der Ahndung der Verbrechen gegen kambodschanisches und internationales Recht zu untersuchen. Im Juni 1997 erreichte ihn dann ein Brief der Kambodschanischen Regierung, unterzeichnet von den damaligen Co-Premierministern Hun Sen und Prince Norodom Ranariddh, welches die Vereinten Nationen um Unterstützung bittet in dem Versuch, die Verantwortlichen des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Regierung der Khmer Rouge von 1975-1979 Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 1998 beauftragte der UN-Generalsekretär eine Gruppe von Rechtsexperten damit, die Perspektiven für einen Prozess gegen die ehemaligen Khmer-Rouge-Offiziere auszuloten. Im Februar 1999 legten die Experten ihren Bericht vor, in dem sie die Gründung eines Internationalen Tribunals mit unabhängigen Anklägern, ähnlich den ad-hoc Tribunalen für Ruanda und das ehemalige Yugoslawien, empfahlen, sowie eine Wahrheitskommission, welche die Ereignisse dieser Zeit dokumentieren solle.

Der Gedanke einer Wahrheitskommission fand in Kambodscha nicht viel Widerhall, und in den folgenden Jahren gab es etliche Verhandlungen zwischen der UN und Kambodscha, um die genaue Zusammensetzung und Reichweite eines Tribunals zu bestimmen. Jedoch seit der Verhaftung Ta Moks hat die Regierung darauf bestanden, ihn in Kambodscha unter nationalem Recht vor Gericht zu stellen, dem Bericht der Experten zum Trotz. Es folgten eine Reihe von politischen Kompromissen, so dass das Tribunal nicht mehr dem Vorschlag der Experten voll entsprechen kann. Im Juli 2000 haben sich schließlich die Vereinten Nationen und die Regierung von Kambodscha auf Einzelheiten eines Sondergerichts für Kriegsverbrechen der Roten Khmer geeinigt. Als Tribunal ist ein kambodschanisches Gericht unter Beteiligung internationaler Richter und Ankläger geplant.

Jedoch kamen diese Verhandlungen erneut zum Stillstand, als Hun Sen eine UN-Kontrolle über das Tribunal verweigerte. Die UN tritt dafür ein, dass das Verfahren vor einem mehrheitlich mit ausländischen Richtern besetzten Gericht mit einem unabhängigen, von der UN ernannten Ankläger durchgeführt werden soll, um eine unparteiische und faire Prozessführung zu gewährleisten. Die Regierung Kambodschas jedoch weist jegliche Kontrollfunktion der UN zurück und beschuldigt die UN, die staatliche Souveränität Kambodschas zu verletzen und den Frieden im Land zu gefährden. Rechtsexperten der UN und Menschenrechtsorganisationen haben jedoch größte Skepsis gegenüber jeder Form eines Rechtsverfahrens geäußert, das im politisierten und korrupten Justizwesen Kambodschas verankert ist.

Die Experten, die im Auftrag der UNO einen Bericht über die Möglichkeiten eines Khmer-Rouge-Tribunals erstellten, waren der Meinung, dass das kambodschanische Justizsystem in drei Punkten unzulänglich ist. Es gibt einen Mangel an qualifizierten Richtern, Anwälten und Juristen; keine ausreichende Infrastruktur wie zum Beispiel Gerichtssäle sowie ausbruchsichere und menschenwürdige Gefängnisse; und letztlich besteht keine Kultur des Respekts vor gesetzmäßigen Prozessen und deren Ablauf. Die Gerichte sind nicht unabhängig von der Politik; Korruption und Erpressung herrscht vor, und viele Richter sind auch Mitglieder von politischen Parteien. Diese Situation ist mit internationalen Rechtstandards nicht vereinbar. Ferner gibt es Sicherheitsrisiken in Kambodscha. Verteidiger werden häufig von Familienmitgliedern der Opfer angegriffen, und es besteht auch die Möglichkeit, dass Zeugen bei einem etwaigen Khmer-Rouge-Tribunal nicht sicher sein werden. Die Experten schließen, dass das kambodschanische Justizsystem nicht fair und effektiv genug ist, um ein glaubwürdiges Tribunal eigenständig durchführen zu können. Das Strafrecht Kambodschas ist auch noch nicht klar geschrieben oder interpretiert worden. Man beruft sich zum größten Teil auf jenes von 1956, welches für das Königreich Kambodscha galt, da seit den Khmer Rouge kein klares, verlässliches Strafgesetz geschrieben wurde. Mit diesen Defiziten kann das kambodschanische Justizsystem nicht das Vertrauen der Kambodschaner oder der internationalen Gemeinschaft wecken.

Ähnlicher Auffassung sind die Experten, wenn es um eine Mischform von kambodschanischem und internationalem Tribunal geht, wie etwa der Kompromiss, auf den man sich jüngst geeinigt hat. Solch ein Tribunal wird ebenfalls wieder durch politische Kräfte manipulierbar sein und seine Unabhängigkeit verlieren. Die meisten Defizite werden durch das Mitwirken von einigen internationalen Anwälten und Richtern nicht zu beheben sein.

Die regierende Partei Kambodschas zählt auch einige ehemalige Khmer Rouge Führer als Parteimitglieder. Und wenn die Regierung bei der Ernennung der Richter Einfluss hat, so wird sie auch über das Tribunal Einfluss haben, sagte Ang Eng Thong, der Präsident der Cambodia’s Bar Association, der nationalen Anwaltskammer. So kritisierten 17 kambodschanische Menschenrechtsgruppen am 6. Januar 2000 Hun Sens Vorschlag eines Prozesses mit mehrheitlich einheimischen Richtern, denen eine Minderheit von durch die UN ernannten Richtern zur Seite stehen sollen, da er dem Volk Kambodschas weder Frieden noch Gerechtigkeit bringen würde.

Befürchtungen wurden auch in Zusammenhang mit den Gesetzeswidrigkeiten, die im Verlauf der Verhaftung Ta Mok‘s stattgefunden haben, geäußert, da diese die Glaubwürdigkeit der Verhandlung in Frage stellen und eine Verletzung der Rechte des Angeklagten unter Kambodschanischem und internationalem Recht darstellen.

Dem Premierminister wird inoffiziell vorgeworfen, ein juristisches Vorgehen gegen ehemalige Khmer-Rouge-Offiziere für sich als vorteilhaft einzuschätzen, da es die Glaubwürdigkeit seiner Regierung als Empfänger internationaler Finanzhilfe gegenüber den Geberländern erhöhe. An pragmatischem Zynismus käme dies jenem der Internationalen Gemeinschaft und der USA während den 80er Jahren Nahe, als sie den Völkermord ignorierten und mit den Khmer Rouge kooperierten. Es scheint, als fehle auf Seiten der Regierung Kambodschas jeglicher politischer Wille, eine öffentliche und ehrliche Debatte über den Völkermord innerhalb der kambodschanischen Gesellschaft zu fördern und die Wahrheit über die Kriegsverbrechen aufzudecken, und folglich gestalten sich die Verhandlungen über das Tribunal zwischen der UN und Kambodscha als sehr kompliziert und langwierig, selbst nachdem man sich auf die Form des Tribunals geeinigt hat. Die jüngsten Unstimmigkeiten haben mit dem neuen Gesetz zu tun, welches die Regierung Kambodschas eigens für die Erstellung des Tribunals verabschiedet hat.

Kofi Annan zufolge sind sich die internationale Gemeinschaft und Kambodscha einig, dass ein Tribunal internationalen Charakter haben muss und minimale internationale Rechtsstandards gewährleisten muss. Die Hauptforderung der UN ist tatsächlich, dass das Rechtsorgan, welches zu diesem Zweck in Kambodscha aufgebaut wird, auch internationalen Standards entspricht, wie zum Beispiel bei der Verhaftung der Verdächtigen, der Verhinderung von Straffreiheit für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sowie einer angemessenen internationalen Beteiligung bei Anklägern und Richtern.

Der Gesetzentwurf der kambodschanischen Regierung sieht vor, dass kambodschanische und ausländische Ankläger sowie Richter gemeinsam die Anklage durchführen und die Urteile fällen, wobei die ausländischen Richter in der Minderheit sind. Ihnen wird jedoch ein Vetorecht erteilt.

Das neue Gesetz legt zunächst einmal fest, dass die Verbrechen, die vom 17 April 1975 bis zum 6 Januar 1979 begangen wurden, in dem Khmer-Rouge-Tribunal geahndet werden sollen. Dabei werden eine Vielfalt von Straftaten in Betracht gezogen: Mord, Folter und religiöse Verfolgung unter Kambodschanischem Recht und Völkermord im Sinne der UN Konvention 1948, das heißt alle Taten mit dem Ziel, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe zum Teil oder ganz zu vernichten, und zwar sowohl versuchter Völkermord, als auch Verschwörung zum Völkermord oder Beihilfe. Ferner werden auch alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet. Diese werden definiert als verbreitete oder systematische Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, sei es aus nationalen, politischen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gründen, z.B. Mord, Versklavung, Verschleppung, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung und andere unmenschliche Taten. Unter Artikel 6 des Gesetzes werden auch Verbrechen im Sinne der Genfer Konvention 1949 geahndet.

In dem Gesetz steht explizit, dass jeder Verdächtige, der einer der oben genannten Verbrechen schuldig ist, sie geplant, befohlen, begangen oder Beihilfe geleistet hat, individuell dafür verantwortlich ist, wobei sowohl die Rangstellung für das Urteil irrelevant sei als auch die Tatsache, dass auf einen Befehl hin gehandelt wurde. Und gleichzeitig ist der übergeordnete Befehlshaber nicht von seiner Verantwortung befreit, solange er Befehlshoheit, Kontrolle oder Autorität über den Angeklagten hatte und von den geplanten oder begangenen Taten wusste, ohne die notwendigen vernünftigen Maßnahmen zur Prävention oder Bestrafung der Täter vorzunehmen.

Die Strafen für die Verurteilten können von fünf Jahren Gefängnis bis zu lebenslänglich reichen. Vorgesehen ist auch das Konfiszieren zu Gunsten des Staates von persönlichem Eigentum, Geld, Immobilien und dergleichen, sofern sie unrechtmäßig oder durch kriminelle Taten erworben worden sind. Ferner heißt es, dass das kambodschanische Königreich keine Amnestie mehr für die Personen beantragen wird, die unter diesem Recht angeklagt oder verurteilt werden können.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat ihre Besorgnis kundgetan über die Bestimmung im Gesetzentwurf Kambodschas, der zufolge die Regierung Kambodschas das Recht haben soll, von der UN ernannte Richter und Ankläger abzulehnen, der UN andererseits dieses Recht gegenüber den Nominierungen Kambodschas nicht zustehen soll. Ferner ist es inakzeptabel, dass sich das Gericht aus mehrheitlich kambodschanischen Richtern zusammensetzt, und dass der kambodschanische Nebenankläger das Recht erhalten soll, gegenüber jeglichem Urteil ein Veto einzulegen. Darüber hinaus findet Zeugenschutz in dem Gesetzentwurf ebenso wenig Erwähnung, wie die Frage, ob Khmer-Rouge-Offiziere, die offiziell amnestiert wurden, erneut unter Anklage gestellt werden können. Der Gesetzentwurf lässt noch zahlreiche weitere Fragen offen. Daher sind etliche Menschenrechts- und Friedensorganisationen der Überzeugung, dass er einen fairen Prozess ohne politische Einflussnahme, wie es den internationalen Standards entspräche, nicht gewährleisten kann.

Auch die Vereinten Nationen zeigten sich nicht sehr zufrieden mit dem Gesetzentwurf Kambodschas. Formelle Kleinigkeiten und ungenaue Formulierungen lassen den Verdacht aufkommen, dass die kambodschanische Regierung nicht an einem wahrhaftigen Tribunal in Kooperation mit den Vereinten Nationen interessiert sei. Zum Beispiel wird im Falle des Rückzugs eines UN-vorgeschlagenen Richters, nachdem alle Reserve-Richter eingesetzt worden sind, nicht erwähnt, dass wieder ein Richter gewählt wird, den die UNO vorgeschlagen hat, sondern die Kambodschanische Regierung könnte praktisch einen beliebigen Ausländer einsetzen. Ebenso wird bei der Auswahl des ausländischen Anklägers, nachdem alle Reservisten eingesetzt worden sind, der Satz “von der Liste der Vorgeschlagenen durch den General-Sekretär“ einfach weggelassen. Die Vereinten Nationen möchten klarstellen, dass alle freien Stellen der ausländischen Beteiligten mit Personal belegt werden müssen, die die UNO vorgeschlagen hat.

Ferner bereitet das kambodschanische Recht Probleme, was den Posten des Verwaltungsdirektors angeht. Dieser UN-Angestellte ist für alle ausländischen Mitarbeiter zuständig und kontrolliert auch die Gelder des UN-Fonds. Im Gesetzentwurf der UN steht, dass dieser ausländische Angestellte vom General-Sekretär der UNO ernannt wird, jedoch steht nun in dem kambodschanischem Gesetz, dass er von jenem vorgeschlagen, jedoch vom Königreich Kambodscha ernannt werden solle. Das hat zu erheblichen Diskussionen geführt, da die Vereinten Nationen klar zu machen versuchten, dass dieser Posten von einem UN-Offizier auszufüllen sei und dieser daher vom Generalsekretär ernannt werden müsse, um auch ihm verantwortlich zu sein.

Was die umstrittene Straffreiheit angeht, so stand im UN Vorschlag für das Gesetz, dass keine Straffreiheit mehr gewährt werden solle und schon erteilte Amnestie kein Hindernis für Anklage vor dem Tribunal darstellen solle. Das kambodschanische Recht jedoch äußert sich nicht zu ehemals versprochener Straffreiheit.

Bisher haben die Vereinten Nationen dieses Gesetz nicht annehmen können. Eine Übereinkunft gestaltet sich schwierig, zumal das Tribunal hauptsächlich aus einem eigens hierfür errichteten UN Fond bezahlt werden soll und daher die UN auch gewisse Forderungen zu stellen und eine Verantwortung für das Resultat zu tragen haben.

Die Verhandlungen sind im Februar 2001 quasi zum Stillstand gekommen, als Hun Sen, nachdem das Gesetz vom Parlament verabschiedet wurde, es nochmals zur Revision eingab, damit alle Hinweise auf die Todesstrafe, wie in Artikel 3, geändert würden. Das Königreich Kambodscha hat die Todesstrafe jedoch schon vor 10 Jahren abgeschafft und solch ein Urteil hätte mit Hinblick auf die kambodschanische Verfassung nicht ausgesprochen werden können. Aber nun wurde es endgültig von dem Gesetz ausgeschlossen. Dazu musste ein Satz geändert werden, wofür die kambodschanische Regierung sechs Monate benötigt hat, sehr zum Ärger der UN. Dieses Manöver schien eher wie beabsichtigte Zeitvergeudung und lässt an den Motiven der Regierung für das Tribunal zweifeln.

Die kambodschanische Regierung hingegen behauptet, sie könne auch ohne die UN ihr Tribunal durchführen, falls es zu keiner Übereinkunft komme. Hun Sen zeigte sich erbost über die Kritik der UNO an dem Gesetz Kambodschas, und mahnte daran, die Souveränität und Unabhängigkeit seines Landes zu respektieren. Er seinerseits beschuldigt die UN, sie wolle die Errichtung des Tribunals verzögern. Die Schwierigkeit besteht nicht nur darin, dass man einigen ranghohen Khmer-Rouge-Führern schon Amnestie gewährt hat, sondern auch in der Tatsache, dass etliche ehemalige Khmer Rouge nun hohe Posten in der Regierung und im Militär halten.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Tribunal fair sein muss, wobei es nicht Kambodschas junge Souveränität und den neugefundenen Frieden beeinträchtigen darf. Zum Beispiel besteht Hun Sen noch immer auf einer “besonderen Behandlung“ von Ien Sary, dem ehemaligen Außenminister der Khmer Rouge. Er war der erste Guerillaführer, der zu der jetzigen Regierung übergelaufen ist und die Khmer-Rouge-Bewegung verlassen hat. Wenn man ihn vor das Tribunal stellt, werde wieder ein Bürgerkrieg in Kambodscha ausbrechen, behauptet Hun Sen. Man könne nicht die Amnestie rückgängig machen, die König Sihanouk 1996 unterschrieben hat. Und ferner hat Hun Sen vielen Khmer-Rouge-Kämpfern, die aus der Bewegung herausgetreten sind, zugesichert, dass nur ranghohe Khmer-Rouge-Führer sich vor Gericht verantworten werden müssten. Diese Versprechungen dienen zwar dazu, die Guerillas zum Überlaufen zu bewegen und sie friedlich zu halten, aber eine derartige Halbherzigkeit kann der Glaubwürdigkeit eines Tribunals und der Gerechtigkeit nur schaden.

Hierzu äußern sich die UN Experten in ihrem Bericht direkt und schreiben, dass Gerechtigkeit nicht von der gegenwärtigen politischen Situation abhängig sein kann. Solch eine Straffreiheit kann ein Kriegsverbrechertribunal nur zur Farce machen. Andererseits muss man untersuchen, was in Kambodscha praktisch durchführbar ist und entscheiden, ob man lieber einige wenige Khmer Rouge verurteilt oder unter diesen Umständen gar kein Tribunal durchführt.

Einige Kambodschaner fordern auch die Verurteilung der USA und des Vereinigten Königreichs für die heimliche und illegale Bombardierung des damals neutralen Kambodscha unter Präsident Nixon und Henry Kissinger von 1969 bis 1973. Diese Flächenbombardierung hatte so viele Tote und eine derartige Zerstörung zufolge, dass behauptet wird, es sei ein kritisches Element für die Machtergreifung Pol Pots gewesen. Es wirkte wie ein Katalysator für die kleine sektenartige Gruppe der Khmer Rouge, deren Kombination aus Maoismus und “˜Steinzeitkommunismus‘ keine Basis im Volk hatte. Nachdem die Khmer Rouge von den Vietnamesen 1978 entmachtet wurden, haben die USA, China und auch die Thatcher Regierung Pol Pot im Exil in Thailand unterstützt, da er der Feind ihres Feindes war. Die “˜Befreiung‘ Kambodschas konnte nicht anerkannt werden, weil sie von der falschen Seite kam. So haben nach 1979 weiterhin die Khmer Rouge Kambodscha bei den UN vertreten, auf speziellen Wunsch der Amerikaner und der Briten. Währenddessen litt die traumatisierte Gesellschaft unter dem Embargo des Sicherheitsrates, und die Khmer Rouge bekamen alles Gewünschte im Exil und konnten Kampftruppen an der Grenze konzentrieren, um den ‘Widerstand‘ zu unterstützen. Dies führte dazu, dass noch viele Jahre nach dem Sturz der Khmer Rouge ein Bürgerkrieg auf schwacher Flamme weiterbrannte und dem Land kein Frieden zukam. So erklärte der Verteidiger Ta Moks, dass auch alle Ausländer zu Gericht gerufen werden müssen, um sich für die Unterstützung der Khmer Rouge zu verantworten, und zwar ohne Ausnahme, von Madeleine Albright, Margaret Thatcher, Kissinger, Carter, Reagan bis zu Bush und anderen. “Niemand sollte der Justiz entkommen”, sagte Hun Sen. “Die Roten Khmer müssen vor Gericht gebracht werden. Aber auch jene, die sie unterstützten, sollten dort erscheinen.”

So hat zum Beispiel der kambodschanische König Norodom Sihanuk kürzlich seine Bereitschaft erklärt, sich im Zusammenhang mit seiner Rolle während der Herrschaft der Roten Khmer einem internationalen Tribunal zu stellen. Sihanuk war während des Pol-Pot-Regimes von 1975 bis 1979 zeitweise Staatsoberhaupt und unterhielt auch davor und danach gute Beziehungen zu den Roten Khmer, obwohl deren Herrschaft auch fünf seiner Kinder zum Opfer gefallen sind.

Es umstritten, inwieweit diese Regierung die Berechtigung hat, ein Tribunal für die Ahndung der Khmer Rouge zu erstellen, wenn auch jetzt viele Proteste der Bevölkerung gegen die Regierung Hun Sens gewaltsam unterdrückt werden, und Menschen bei Protesten getötet werden oder danach “˜verschwinden‘. Zum Beispiel war der Oppositionsführer Rainsy ins UN Gebäude geflohen, da Hun Sen einen Haftbefehl hatte ausrichten lassen. Bei der Demonstration für Rainsy eröffnete die Polizei das Feuer, wobei Menschen ums Leben kamen.

Nach den Parlamentswahlen am 26. Juli, die den bisherigen Zweiten Ministerpräsidenten Hun Sen und seine Kambodschanische Volkspartei (CPP) im Amt bestätigt hatten, weigerten sich die Oppositionsparteien, den Wahlsieg anzuerkennen. Die Oppositionspolitiker Prinz Norodom Ranariddh, Vorsitzender der Funcinpec, sowie Sam Rainsy, Chef der gleichnamigen Partei (SRP), warfen der CPP Wahlbetrug vor. Außerdem meldete die Opposition Zweifel an der Neutralität der Nationalen Wahlkommission an, die für die Verteilung der Parlamentssitze verantwortlich ist. Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse flüchteten viele Mitglieder der Oppositionsparteien ins Ausland. Morddrohungen von Anhängern der CPP ließen sie um ihr Leben fürchten.

Nach dem Staatsstreich am 5. Juli 1997, bei dem CPP-Chef Hun Sen den ersten Premierminister Prinz Norodom Ranariddh aus dem Amt gedrängt hatte, wurden über 53 Menschen ohne Urteil hingerichtet – die meisten von ihnen hochrangige Funcinpec-Mitglieder. Niemand ist bisher für diese Verbrechen vor Gericht gestellt worden, obwohl eindeutige Beweise für die Verantwortung der Sicherheitskräfte vorliegen. Das Militärgericht in Phnom Penh verhängte eine 20jährige Haftstrafe für den bereits von Soldaten getöteten Brigadegeneral Chao Sambath – seine Mörder wurden nicht bestraft.

Während der von Oktober 1991 bis September 1993 regierenden UNO-Übergangsverwaltung und nach dem Pariser Friedensvertrages von 1991 hat Kambodscha die meisten internationalen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Seit Amtsübernahme der kambodschanischen Regierung wurden jedoch viele positive Entwicklungen wieder rückgängig gemacht. Die Menschenrechtssituation verschlechterte sich drastisch, obwohl die Regierung wiederholt versichert hat, bekannt gewordene Menschenrechtsverletzungen untersuchen zu lassen. Statt dessen prägt die Gewalt den politischen Alltag. Auch die Vereidigung der neuen Nationalversammlung verlief nicht gewaltfrei: In Angkor Wat in der Provinz Siem Reap explodierte eine Granate in der Nähe von Hun Sen.

Doch statt sich zu den Menschenrechtsverletzungen zu äußern, attackierte der erste Premierminister Hun Sen die Arbeit des UNO-Menschenrechtszentrums in Phnom Penh. Im August des vergangenen Jahres forderte er die Entlassung mehrerer Angestellter der Vereinten Nationen, die angeblich falsche Informationen verbreitet hatten. Zeitgleich verkündete die Regierung, eine eigene Nationale Menschenrechtskommission ins Leben zu rufen. Amnesty international bezweifelt jedoch, daß diese Kommission ohne juristische Unabhängigkeit im Land funktionieren kann.

Von den Sozialstrukturen her und den alltäglichen Ereignissen könnte man schließen, dass das Erbe der Roten Khmer vor allem eine Kultur der Gewalt ist. “Wenn wir den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen wollen, müssen wir damit anfangen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen”, sagt Oppositionsführer Sam Rainsy hierzu. Beispiele für die “Kultur der Gewalt” in Kambodscha sind schnell gefunden, zum Beispiel in Gerichtsfällen. Da erschießt ein Mann zwei seiner Nachbarn, weil sein Hund mit denen der anderen aneinandergeraten war. Von dem zu schließen, was man über den kambodschanischen Alltag hört, besteht eine enorme Gewaltbereitschaft. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt, noch dazu kommen drei Jahrzehnte Bürgerkrieg – da zählt ein Leben nicht mehr viel. “Die Roten Khmer und das kommunistische Regime haben unsere moralischen und ethischen Werte zerstört”, sagt Lao Mong Hay, der Direktor des Khmer-Instituts für Demokratie in Phnom Penh. “Als damals Menschen gefoltert, gemordet oder in den Hungertod getrieben wurden, dann galten die Opfer nicht als menschliche Wesen, sondern als Klassenfeinde.” Diese Geringschätzung menschlichen Lebens ging auch nach dem Sturz der Roten Khmer durch vietnamesische Truppen 1979 weiter, denn es folgten zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg, die formal erst vor kurzer Zeit mit der Aufgabe der letzten Kommandeure der Roten Khmer zu Ende gingen. Das völlige Fehlen sozialer Werte wird auch herangezogen, um zu erklären, warum sich Freunde gegenseitig für nicht mehr als einen Dollar umbringen oder Menschen sich mit Raketenwerfern beschießen.

Kambodschas Gesellschaft toleriert nicht nur Gewalt, sie lässt die Täter auch systematisch ungeschoren. Der Hauptverantwortliche dafür ist nach Überzeugung der Vereinten Nationen Ministerpräsident Hun Sen. UN-Sonderbotschafter Thomas Hammarberg hat allein in den vergangenen zwei Jahren 140 Morde an Anhängern der Opposition untersucht. Hun Sens Sicherheitskräfte sind vermutlich für die meisten politischen Morde verantwortlich, und in keinem einzigen Fall gab es ernsthafte Ermittlungen, erst recht kein Urteil. Dies entspricht einer systematischen Straffreiheit, die alle Bemühungen um ein Tribunal für die Khmer Rouge bezweifeln lässt. Kann ein internationaler Prozess gegen die Völkermörder der Khmer Rouge, oder einigen Führern hiervon, den Teufelskreis von Gewalt und Straffreiheit durchbrechen? Nach Meinung der von der UN beauftragten Experten sind faire, internationale Tribunale, die mit der Vergangenheit abschließen, unbedingt notwendig, um irgendwelche Verbesserungen in der Menschenrechtssituation in Kambodscha erreichen zu können. Nur Gerechtigkeit könne zu Frieden, Stabilität und nationaler Aussöhnung führen, und damit auch zur Demokratie. Außerdem müsse auch eine Warnung an zukünftige Regierungen gesandt werden. Hierzu muss jedoch gewährleistet sein, dass man tatsächlich faire und unabhängige Rechtsprechung erwarten kann.

Fast zwei Millionen Menschen sind Opfer der Roten Khmer geworden, fast jeder fünfte Einwohner hat in den vier Jahren ihrer Herrschaft bis zum Januar 1979 sein Leben gelassen. Kann oder soll es eine Versöhnung mit den Völkermördern geben? Immerhin war Khieu Samphan Staatspräsident des Pol-Pot-Regimes, Nuon Chea galt als “Bruder Nummer Zwei” der Führung, und beide sind nun zur Regierung übergelaufen mit dem Versprechen der Straflosigkeit. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was nun die Bevölkerung Kambodschas möchte. Es heißt, dass vor allem die Jüngeren, die nach den Gräueln der “Steinzeit-Kommunisten” geboren sind, die Vergangenheit hinter sich lassen wollen. Für die anderen ist die Erinnerung an die “Killing Fields” eine schmerzhafte und offene Wunde. Wer selbst dem Tod entkam, hat Angehörige und Freunde verloren. Inwieweit wollen diese Menschen die Vergangenheit durch Wahrheitsfindung und einem Tribunal aufarbeiten, das vielleicht nicht unabhängig und gerecht entscheiden kann?

Andererseits haben die UN Experten festgestellt, dass überwiegend der Wunsch nach Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit besteht. Natürlich wünschen sich die Menschen erst einmal den Frieden, aber wie die Experten schließen, ist ein Tribunal durchaus nicht unvereinbar mit Frieden im gegenwärtigen Kambodscha. Hierzu muss jedoch erwähnt werden, dass jenes Tribunal, das die Experten vorschlugen, nun nicht realisierbar ist und wir es mit einem Kompromiss zu tun haben, vor dem sie explizit gewarnt haben.

Und soll es überhaupt eine internationale Angelegenheit sein, oder ist dem kambodschanischem Volk besser gedient, wenn man die Angelegenheit der kambodschanischen Regierung überlässt? Natürlich liegt Berechtigung in dieser Aussage, zumal die Verbrechen, die geahndet werden sollen, von Kambodschanern an ihren Landsleuten und auch in Kambodscha selbst begangen wurden. Andererseits hat die Regierung unter Hun Sen und Prinz Ranariddh die UN um Unterstützung gebeten. Falls die Vereinten Nationen daran beteiligt sein sollen, so müssen ihre internationalen Standards angewandt werden. Die UN hat eine Verantwortung für dieses Tribunal, und Korruption, fehlende Rechtsgarantien oder politische Einflussnahme sind absolut inakzeptabel.

Die Frage ist, wie so ein Tribunal nützlich sein kann. Die demokratischen Elemente, sowie Sinn für Recht und Gerechtigkeit zu stärken, wären gute Ansatzpunkte. Dies ist jedoch nur möglich, wenn man auf gerechte und unabhängige Wahrheitsfindung und Verurteilung hoffen kann.

In der jetzigen Situation Kambodschas scheint das eher unwahrscheinlich zu sein. Die Regierung Hun Sens hat selbst zu wenig Respekt vor dem Recht, als dass man ihr zutrauen könnte, ein Khmer-Rouge-Tribunal gewissenhaft zu organisieren. Korruption und politische Einflussnahme sind zu offensichtlich, und die Verhandlungen mit Hun Sen zeigen, dass ihm nicht unbedingt an zeitiger Ahndung der Verbrechen liegt. Vielmehr ist es ein Tauziehen zwischen seiner Regierung und der UN – obwohl er selbst internationale Hilfe beantragt hat. Das lässt auf andere Motive für solch ein Tribunal schließen, zum Beispiel um seine Berechtigung auf internationale Fördergelder geltend zu machen, da diese oft an demokratische und rechtstaatliche Reformen gekoppelt sind.

Das Problem ist nicht, wie man meinen könnte, eine nationale Auffassung von Gerechtigkeit, nationaler Gerichtsbarkeit und die Befugnis der internationalen Gemeinschaft, einzugreifen, sondern der fehlende politische Wille zur Aufklärung und gerechten Bestrafung der Täter. Nationale Tribunale sowie gemischte Tribunale können durchaus nützlich sein, aber es kommt auf die Bereitschaft der Regierung zur Kooperation an, auf etwaige Eigeninteressen und Korruption, sowie auf das nationale Justizsystem. Da alle Faktoren im Falle Kambodschas mangelhaft erscheinen, könnte man behaupten, kein Tribunal sei besser als ein abhängiges, von einer korrupten Regierung kontrolliertes Tribunal, das den Interessen der Regierungspartei mehr dient als den Opfern des Genozids. Lieber keine Ahndung der Verbrechen, keinen Frieden in diesem Sinne, als eine parteiische Verurteilung einiger Angeklagter in einem unwahrhaftigen Prozess, der diese Regierung legitimiert und von ihren eigenen massiven Menschenrechtsverletzungen sowie ihrer Straflosigkeit ablenkt. Eine bestimmende Rolle Hun Sens bei diesem Tribunal scheint eine Farce aus den Bemühungen um Frieden und Gerechtigkeit zu machen.

Falls es der UN nicht gelingen sollte, die absolute Kontrolle über solch ein Tribunal zu erwirken, so könnte man meinen, der Gerechtigkeit und dem Frieden sei besser gedient, wenn man den Prozeß fallen ließe, als Premierminister Hun Sen eine weltweite Legitimation für seine parteiische und undemokratische Gerichtsbarkeit zu verschaffen.

PS: Am 8. Februar 2002 beendeten die vereinten Nationen die Gespräche mit Kambodscha über den Gerichtshof zur Verfolgung der Khmer-Rouge-Führer. Die Vereinten Nation erklärten, sie sähen in der von der kambodschanischen Regierung gewünschten Konzeption des Gerichtshofs keine Grundlage für unabhängige, unparteiische und objektive Verfahren, wie sie Voraussetzung für eine UN-Beteiligung seien.

Kambodscha im historischen Überblick:

1863-1953: französische Kolonie

1955-1970: Sihanouk regiert das Königreich Kambodscha, das Land wird in den Vietnamkrieg hineingezogen. Ab 1969 bombardieren die USA Kambodscha

1970-1978: Lon Nol stürzt mit US Hilfe Sihanouk und gründet eine Republik. Von China aus verbündet sich Sihanouk mit den Roten Khmer gegen das Militärregime Lon Nols

1975-1978: Pol Pots Rote Khmer errichten das „Demokratische Kampuchea“, ein Terror-Regime, bei dem mehr als 1,5 Millionen Menschen ihr Leben verlieren. Sihanouk wird unter Hausarrest gestellt

1978-1989: Vietnamesische Truppen vertreiben Pol Pot und bilden eine Marionettenregierung unter Heng Samrin und Hun Sen. Sie wird von den Roten Khmer, Sihanouk und dem Anti-Kommunisten Son Sann bekämpft

1989: Abzug der vietnamesischen Truppen

1991: Friedensabkommen in Paris

1993: Erste freie Wahlen unter dem Schutz der UNO. Sihanouks Sohn Ranariddh und Hun Sen werden gemeinsam Premierminister

1997: Hun Sen entmachtet Ranariddh

1998: Aus Wahlen geht Hun Sen als Regierungschef hervor; Tod Pol Pots

* Die Autorin studiert Rechtswissenschaft in Oxford und Kiel. Die vorliegende Arbeit entstand im Herbst 2001 im Rahmen eines Praktikums am Nürnberger Menschenrechtszentrum.

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