Münsterschwarzach o.J. [2008], 497 Seiten Großformat
Auf der Seite „Peru-Ausstellung“ (https://www.menschenrechte.org/peru_ausstellung/peru_ausstellung.htm) des Nürnberger Menschenrechtszentrums sind etliche eindrucksvolle Werke peruanischer Volkskünstler zu sehen, die – hauptsächlich in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts – die politisch motivierte Gewalt in ihrem Land künstlerisch verarbeiteten. Sie tun dies im Stil der verschiedenen handwerklichen und künstlerischen Traditionen ihrer jeweiligen Regionen, unter denen zweifellos die Volkskunst aus Ayacucho im südlichen Bergland eine besondere Stellung einnimmt.
Wie aber sahen diese Traditionen aus? Die Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach in Unterfranken hat vor einiger Zeit einen opulenten Bildband herausgegeben, der den Reichtum dieser künstlerischen Traditionen zum ersten Mal einem deutschsprachigen Publikum ausführlich vorstellt. Herausgegeben wurde er von Orlando Vásquez, dem Leiter der peruanischen Organisation „Inti Raymi“, die sich der Förderung dieser Volkskunst widmet und dabei seit vielen Jahren tatkräftig von den Mönchen aus Münsterschwarzach unterstützt wird.
Das Buch präsentiert die Volkskunst entsprechend den einzelnen handwerklichen Grundlagen. Nacheinander werden so vorgestellt die Keramik, die Korbflechterei, die hauptsächlich in Cuzco beheimatete figürliche „Devotionalienkunst“, die gravierten Kürbisse („mates burilados“), Metallarbeiten aus gestanztem Blech und Silber, Retablos, Holz- und Steinbildhauerei und schließlich Textilarbeiten. Innerhalb der einzelnen Abschnitte werden dann jeweils einzelne Künstler porträtiert und ihre Arbeiten dargestellt. Die Objekte sind durchwegs in bester Qualität fotografiert und gedruckt. Von ebenso herausragender Qualität sind das Layout des Bandes und die Gesamtpräsentation.
Inti Raymi widmet sich der Förderung dieser Volkskünstler nicht nur durch die Vermarktung ihrer Arbeiten – mit großer Unterstützung aus Münsterschwarzach – sondern auch durch die Stiftung eines Preises im Rahmen eines jährlichen Wettbewerbs. Die im Buch präsentierten Arbeiten stammen daher im Wesentlichen von den Künstlern der Organisation und den Teilnehmenden am Wettbewerb. Dennoch bietet es einen repräsentativen Querschnitt durch die peruanische Volkskunst zumindest der südlichen Bergregion.
Ein genauerer Blick macht dabei deutlich, dass die traditionelle Volkskunst in ständigem Wandel begriffen ist. Wer die Retablos oder Keramiken der längst verstorbenen großen Meister kennt, wird viele stilistische Veränderungen bei den neueren Arbeiten feststellen, aber eben auch eine erstaunlich konsistente Grundlinie der Entwicklung, die nicht zuletzt den Vorgaben der traditionellen Materialien geschuldet ist. Zu Recht weist Orlando Vásquez darauf hin, dass sich die Volkskunst weiter entwickeln muss, will sie nicht in steriler Stagnation verharren. Die Tradition dieser Volkskunst ist im übrigen längst nicht so alt wie man vielleicht denken könnte. Die traditionellen Retablos reichen gerade mal ins 19. Jahrhundert zurück. Die Bestückung dieser ursprünglich kleinen tragbaren Altäre mit folkloristischen Motiven begann erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Ähnliches gilt für die anderen traditionellen Formen.
Die Fortentwicklung dieser Kunst war immer auch von der Nachfrage geprägt, schließlich leben die Künstler ganz oder teilweise von ihrer Arbeit. Jahrhunderte lang waren die Kirche oder die religiösen Laienbruderschaften die wichtigsten Auftraggeber der Künstler. So entstand u.a. die Tradition – gewöhnlich bemalter – Steinskulpturen, bemalter Kreuze und eben der mit Heiligen bestückten Retablos, oder auch die Kunst des Blechstanzens für Kerzenhalter und Zierrat an den Prozessionswagen. Mit dem Aufschwung des Tourismus und dem gewachsenen Interesse der Ethnologen an diesen Kunstformen bildeten sich große Neuerungen und Erweiterungen heraus, die heute als besonders traditionell gelten. In „Weisheit der Hände“ kann man erkennen, dass auch die Förderung durch die Mönche aus Deutschland durchaus stilprägend ist: religiöse Motive und neue, oft groß dimensionierte Formen finden sich relativ häufig in dem Band.
Wie sehr die Künstler dabei von der „traditionellen“ Formensprache und lokal vorhandenen Materialien abweichen, ist dabei offenbar eine durchaus persönliche Entscheidung, die Bandbreite ist hier sehr groß. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Mehrzahl dieser Künstler inzwischen nicht mehr in ihren Ursprungsorten, wo die traditionellen Motive und Techniken entstanden, sondern in der Hauptstadt Lima und ihren Randsiedlungen lebt, wo die herkömmlichen Materialien z.T. gar nicht mehr verfügbar sind. Vor allem bei der Keramik von Quinua (Ayacucho), die lediglich mit den wenigen charakteristischen Erdfarben der Region bemalt war, hat der Übergang zu Anilinfarben und modernen Lacken zu einer neuen oft grellen Buntheit geführt, die durchaus verstören kann. Doch einige Künstler wissen auch solche neuen Werkstoffe überzeugend künstlerisch einzubinden.
Die extremen Grausamkeiten politischer Gewalt, die die peruanische Wahrheitskommission in ihrem 2003 veröffentlichten Bericht dokumentiert hat, sind glücklicherweise vorbei. Doch sozial und politisch befriedet ist das Land keineswegs. Während nicht wenige Künstler gerade aus der besonders betroffenen Region Ayacucho in den achtziger Jahren in großen Werken, oft sogar ohne Auftraggeber, diesem Leid Gestalt gaben, findet sich unter den zahlreichen Werken von „Weisheit der Hände“ von der sozialen Problematik des Landes kaum eine Spur. Und dies, obwohl viele Künstler oder ihre Familien durchaus auch persönlich von der politischen Gewalt und sozialer Diskriminierung betroffen sind, z.B. durch erzwungene Migration nach Lima. In den neunziger Jahren fand sich im Limaer Laden von Inti Raymi noch ein Teppich, der eindrucksvoll das Schicksal der Einwohner der östlichen Waldregion Perus darstellte (s. http://www.menschenrechte.org/peru_ausstellung/bilder_textilien.htm bzw. https://www.menschenrechte.org/peru_ausstellung/imagenes/UrwaldDetail.gif). Heute stehen wieder fast ausschließlich religiöse und folkloristische Motive im Vordergrund. Die von „Inti Raymi“ betreuten Künstler sind keineswegs allein mit dieser Abwendung von der sozialen Wirklichkeit ihres Landes, auch sonst findet man kaum noch derartige Arbeiten in Peru. Ob dies die Zukunft der peruanischen Volkskunst ist?
von Rainer Huhle