von Lea Dannich
Seit 2007 veröffentlicht das Bündnis Aktiv für Menschenrechte Nürnberg im Zweijahresrhythmus einen Alternativen Menschenrechtsbericht. Er stellt ein Gegenstück zu offiziellen Berichten deutscher Behörden dar, da er aus den Reihen der Zivilgesellschaft kommt. So besteht der Alternative Menschenrechtsbericht 2017 aus Beiträgen von LehrerInnen, PfarrerInnen, dem PRO-Asyl Vorsitzenden, Angestellten des Bayerischen Flüchtlingsrats, Mitarbeiterinnen des Internationalen Frauencafés, und zahlreichen freiwilligen HelferInnen und UnterstützerInnen. Sie alle legen dar, wie sehr sich die Situation von Geflüchteten in der Bundesrepublik in den letzten zwei Jahren kontinuierlich verschlechtert hat. Es wird scharfe Kritik an der Bundesregierung sowie der Europäischen Union geübt. Das immer wiederkehrende Thema dabei ist die Abkehr der Politik von fundamentalen Werten wie der Menschenwürde und Menschenrechtsnormen innerhalb Deutschlands und auch EU-weit. Mithilfe von individuellen Fallschilderungen und persönlichen Erfahrungen von Geflüchteten und HelferInnen wird vor allem die menschliche Seite der Flüchtlingskrise betont.
Gesetzliche Entwicklungen
Der Bericht beginnt damit, gesetzliche Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik seit 2015 zu erläutern. Kritisiert werden Maßnahmen wie die Erklärung von Staaten mit prekärer Sicherheitslage zu sicheren Herkunftsländern, beschleunigte Asylverfahren, die Aussetzung des Familiennachzuges für subsidiär Geschützte oder Abschiebungen nach Afghanistan. Alle diese Maßnahmen stellen Eingriffe in das individuelle Recht auf Asyl im Zuge der Abschreckungspolitik innerhalb Deutschlands dar. Ebenfalls kritisiert werden die geplante Verschärfung des Dublin-Verfahrens, der hoch umstrittene EU-Türkei-Deal, die Kooperation in der Flüchtlingsabwehr mit Staaten wie Libyen, in denen menschenunwürdige Bedingungen für Geflüchtete herrschen, sowie die Unterlassung von Rettungsaktionen im Mittelmeer seit dem Ende der Operation Mare Nostrum, ja sogar die Bekämpfung privater Retter.
Näher eingegangen wird auch auf das Bayerische Integrationsgesetz. Es besteht der Vorwurf, Geflüchteten werde eine Integrationspflicht vorgeschrieben, jedoch bestehe kein Rechtsanspruch auf Integrationsmittel. Auch der Anspruch, dass Geflüchtete sich an die hiesige Leitkultur anzupassen haben wird äußerst kritisch betrachtet. Besonders hart trifft das Gesetz sogenannte Geflüchtete ohne Bleibeperspektive, die aus “sicheren” Herkunftsländern stammen. Sie haben praktisch keine Chance auf Anerkennung in Deutschland mehr. Dies betrifft unter anderem Roma aus sogenannten Balkanländern, die in ihrer Heimat stark diskriminiert werden.
Abschiebungen nach Afghanistan und Äthiopien
Ein weiteres Thema des Berichts ist die Politik gegenüber Geflüchteten aus Afghanistan. Abschiebungen in das vom Bürgerkrieg geprägte Land haben sich seit 2015 stark gehäuft, besonders seit dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesregierung, der EU und Afghanistan. Abgeschobene Geflüchtete sind in Afghanistan aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen Lage abhängig von sozialen Netzwerken. Wenn solche nicht existieren, sind sie auf sich selbst gestellt und müssen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, mangelnder Hygiene, fehlendem Trinkwasser, Krankheiten und Seuchen, Mangelernährung und schlechter medizinischer Versorgung trotzen. Hilfsorganisationen und selbst der UNHCR sind inzwischen mit der humanitären Lage in Afghanistan überfordert. Der Bericht wirft dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor, die aktuelle Lage in Afghanistan in Asylentscheidungen zu ignorieren. Inzwischen erhalten etwa 60% aller afghanischen AsylbewerberInnen Ablehnungsbescheide.
Auch der Umgang mit äthiopischen Geflüchteten wird stark kritisiert. Laut UNO ist ein Viertel der äthiopischen Bevölkerung unterernährt und auch die politische Lage des Landes hat sich zugespitzt. In den letzten Jahren gab es vermehrt Unruhen und Proteste gegen die repressive Regierung, vor allem von Seiten der unterdrückten Oromo-Bevölkerung und Opfern von Land-Grabbing. Sicherheitskräfte gingen brutal gegen DemonstrantInnen vor. Seit Oktober 2016 befindet sich Äthiopien im Ausnahmezustand. Dennoch liegen die Erfolgschancen äthiopischer AsylbewerberInnen bei nur etwa 20% – eine Statistik, die der Bericht als “erschreckend niedrig” einstuft. Der Vorwurf lautet, das BAMF ignoriere, dass nicht nur OppositionspolitikerInnen sondern auch gewöhnlichen DemonstrantInnen Haft droht. Damit übergehe die Bundesregierung mehrere Menschenrechtsberichte von NGOs und eine Resolution des Europaparlaments. Befürchtet wird überdies, dass ein Rückübernahmeabkommen zwischen EU und Äthiopien in Aussicht steht, welches die Chancen auf Anerkennung äthiopischer AsylbewerberInnen weiterhin verschlechtern würde.
Angriff auf das Kirchenasyl
Ein weiterer Trend, den der Menschenrechtsbericht bemängelt, ist der Einschnitt der Regierung in die jahrhundertealte Tradition des Kirchenasyls. In extremen Härtefällen bietet eine Pfarrei oder Kirchengemeinde Geflüchteten für begrenzte Zeit Unterschlupf. Häufig betroffen sind Menschen, die kurz vor der Abschiebung in ein anderes Dublin-Land wie Griechenland oder Italien stehen, für die aber wegen schwerwiegender Umstände wie zum Beispiel Schwangerschaft oder erlittener Traumata eine solche Rückführung nicht infrage kommt. Seit 2015 üben Behörden und Staatsregierung zunehmend Druck auf solche Pfarreien und Gemeinden aus; in manchen Fällen kam es sogar zu Strafverfahren gegen Geistliche und Mitglieder der Kirche.
Kritik am BAMF
Am BAMF übt der Bericht auch grundsätzliche Kritik. Ein wiederkehrender Vorwurf ist die fehlende Berücksichtigung individueller Faktoren im Asylverfahren; stattdessen spiele generell das Herkunftsland der/des Geflüchteten eine immer größere Rolle. Dies führe zu immer weiter sinkenden Anerkennungsquoten, vor allem für Geflüchtete aus Afghanistan. Außerdem wird beanstandet, dass das BAMF aufgrund der Überlastung immer mehr unqualifizierte und nicht ausreichend eingearbeitete MitarbeiterInnen komplizierte Fälle bearbeiten lässt. Auch der Umgang mit Geflüchteten in den individuellen Gesprächen wird kritisiert: Der Bericht führt auf, dass Faktoren wie Traumata, der soziale Hintergrund eines Asylsuchenden, Stigmatisierung sexueller Gewalt, Bildungsstand oder mangelndes Vertrauen gegenüber Behörden dazu führen können, dass AsylbewerberInnen von PrüferInnen als unglaubhaft eingestuft werden.
Situation in der Metropolregion
Die Verschlechterung der Lage für Geflüchtete zeigt sich laut dem Bericht auch in Nürnberg. So wird beispielsweise der Rückzug des Chefs der Ausländerbehörde vom Runden Tisch Flüchtlinge genannt, der laut Bericht symbolisch für die fehlende Kooperation der Behörden mit HelferInnen aus der Zivilgesellschaft ist. Allerdings endet der Bericht mit einer hoffnungsvollen Note, indem er positive Entwicklungen vor Ort aufzählt: die Refugee Law Clinic Erlangen-Nuremberg, die von Studierenden getragen wird und kostenlose Rechtsberatung für Geflüchtete anbietet; die Initiative “Erlaubnisse zur Ausbildung für junge Geflüchtete“, die zu Missständen in der Handhabung von Ausbildungserlaubnissen für Geflüchtete informiert; das Projekt BLEIB II des Integrationsrates Nürnberg, welches Beratung für Geflüchtete mit höherer Schulbildung anbietet; und die neue medizinische Fachstelle für Geflüchtete im Gesundheitsamt, die vor allem mit ÄrztInnen aus den Heimatländern der Geflüchteten besetzt ist.
Der vollständige Bericht kann unter www.alternativer-menschenrechtsbericht.de eingesehen werden.