von Otto Böhm
Aufarbeitung ist ein diffuser Begriff; in der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und in menschenrechtlichen Zusammenhängen haben sich aber doch einige normative Kernelemente wie Wahrheitsfindung, Wiedergutmachung, gesellschaftliche Anerkennung und Kampf gegen Straflosigkeit herausgebildet. Der Historiker Thomas Großbölting[1] versucht unter dem Titel „Die Gefahr der Leerformel. “Was heißt Aufarbeitung?“[2] mit Blick auf die historischen Erfahrungen in Deutschland eine Bewertung der Aufarbeitung des Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche[3]. Die von Betroffenen, Fachleuten und Parteien geforderte Einsetzung von unabhängigen Kommissionen zur Aufarbeitung ruft zudem einschlägige Erfahrungen aus Lateinamerika auf: Nach der Phase der Menschenrechtsverbrechen seit den 1970er Jahren wurden dort in verschiedenen Ländern auf die Initiative von Opfergruppen hin Kommissionen für Wahrheit und Gerechtigkeit eingerichtet. Diese beiden politischen, auch moralisch-rechtlichen Prozesse sind ein Basis-Thema vieler Menschenrechts-Bildungsgruppen. Regelmäßig fanden und finden Kampagnen mit Bezug auf eine mangelnde Aufarbeitung statt (zum Beispiel das Verhalten deutscher Institutionen zur chilenischen Colonia Dignidad oder zur Entführung und Ermordung von Elisabeth Käsemann in Argentinien). [4]
Bei aller Unterschiedlichkeit der Konstellationen liegt es doch nahe, bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals die oben genannten Desiderate explizit als menschenrechtliche Normen mit einzubeziehen. Soweit ich sehe, gibt es aber keine Resonanz in an Menschenrechten interessierten Gruppen, Foren und Publikationen.[5] Über die Ursachen kann man spekulieren: Sind die Betroffenengruppen nicht laut und sichtbar genug? Gibt es keine advokatorische Haltung im Umfeld? Ist die ‚pastorale‘ Kirche nicht selbst die erste Advokatin? Oder ist bei ihr als Organisation der Täter sowieso Hopfen und Malz verloren? Ist es zu brisant, sich in die Grauzonen von Pädokriminalität einerseits und dem Diskriminierungsfeld Homophobie andrerseits zu begeben?
Sicherlich brachte der sogenannte Missbrauchsskandal in Deutschland eine große Öffentlichkeit und auch eine Dynamik in der Katholischen Kirche mit sich, dazu auch umfassende theologische und therapeutische Literatur.[6]
„Der Staat soll eingreifen“
Mit dem Antritt der neuen Bundesregierung scheinen neue Ansatzpunkte und ein schärferer Blick gegeben zu sein. Sie will “die Aufarbeitung strukturierter sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in gesellschaftlichen Gruppen, wie Sportvereinen, Kirchen und Jugendarbeit, begleiten, aktiv fördern und, wenn erforderlich, gesetzliche Grundlagen schaffen”. Konkret sei vorgesehen, „das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gesetzlich zu regeln und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag einzuführen.“ (Süddeutsche Zeitung, 31.1.2022) Christian Geyer fordert in der FAZ vom 16.2.2022 „Der Staat soll eingreifen.“ Denn „ weil die christliche Seelsorge nicht zuletzt täterorientiert ist, sollte der Staat seiner Verantwortung für den Kinderschutz besser nachkommen.“ Und auch von der Bayerischen Staatsregierung gibt es inzwischen politische Zielsetzungen: Markus Söder plädierte bei einem Empfang des Erzbistums München-Freising für eine höhere Entschädigung der Betroffenen und Justizminister Georg Eisenreich forderte beim gleichen Anlass, „dass künftig auch Verantwortliche mit bis zu drei Jahren Haft belangt werden können, wenn sie durch grobes Fehlverhalten sexuellen Missbrauch befördert haben.“ [7]
Die Politik in Deutschland fühlt sich also gefordert, bei der Aufarbeitung nachzuhelfen. Ich möchte im Folgenden zum Thema „Missbrauch in der Katholischen Kirche“ einige Punkte so herausarbeiten, dass sie für die Menschenrechtsbildung interessant und nützlich sein können.[8] Damit werden also keine theologischen und psychotherapeutischen Fachfragen oder kirchenpolitische Reformdiskussionen ausgebreitet. Ich beschränke mich auf die Katholische Kirche in Deutschland und die katholischen Internate (die nicht den Bischöfen unterstehen).[9] Täter- und Betroffenengruppen sowie systemische Strukturen lassen sich hier am ehesten beschreiben und menschenrechtlich vermitteln. Die Missbrauchs-Verbrechen haben hier benennbare und erforschte Rahmen- und Ermöglichungsbedingungen.
Die besonderen Täter-Opfer-Konstellationen im System Kirche führen zu spezifischen Verzögerungen, Vertuschungen und Komplizenschaften. Weiter gehören dazu die (im Vergleich zu politischen Menschenrechtsverbrechen an Oppositionellen oder an Minderheiten) spezifische Sprachlosigkeit der Betroffenen, die weit zurückliegenden Zeitpunkte, ein geringer Organisationsgrad der Betroffenen und auf der Seite der Täter eine Organisation, die im Unterschied zu Staatsverbrechen durch Militäreinheiten oder Geheimdienste nicht die Vernichtung einer (oppositionellen) Gruppe als primären Zweck hat.[10] Aber es lässt sich sehr wohl zeigen, dass der Schutz der Täter bis hin zur Strafvereitelung ein Handlungszweck der Institution Kirche war. Dazu kommt, dass Scham und Verschweigen in der Katholischen Kirche, wie generell im Bereich Missbrauch, die am meisten verbreitete Reaktion ist: „Expertinnen und Experten des Bundeskriminalamts gehen davon aus, dass von 15 Fällen sexuellen Missbrauchs lediglich einer angezeigt wird, andere Forscherinnen und Forscher nennen noch höhere Zahlen des Verschweigens.“ (Großbölting 2022, S. 97).
Ich strukturiere das Thema für eine kurze und griffige didaktische Darstellung („Welche kurzen Antworten könnten in menschenrechtlicher Hinsicht gefragt sein?“) folgendermaßen:
- Um was geht es? Ausmaß (zeitliche und personenbezogene Dimensionen) und Begrifflichkeit (Missbrauch/Verbrechen)
- Wer sind die „Akteure“ (Täter, Beschuldigte und Betroffene)?
- Welche Rolle spielt die Katholische Kirche (vertuschende und aufklärende Institution zugleich)?
- Welche Rolle spielt der Staat (Aufarbeitungskommissionen/Beauftragte)?
1. Um was geht es? Sprachgebrauch und Ausmaß
Was wird unter ‚sexuellem Missbrauch‘ verstanden?
„In den wenigsten Fällen standen Definitionsfragen im Vordergrund, im Gegenteil: Oftmals war allen Beteiligten, den Betroffenen, den beobachtenden Bystanders, selbst den Tätern mindestens intuitiv, meist aber ganz klar und offen bewusst, dass es sich bei den entsprechenden Handlungen um Grenzverletzungen, schwerwiegende Übergriffe wie auch Verbrechen handelte.“ (Großbölting 2022, S. 28 )
‚Sexueller Missbrauchsskandal‘ wird dabei als Oberbegriff häufiger genutzt als ‚Verbrechen des sexuellen Missbrauchs‘[11]. Sicher handelt es sich um einen fortlaufenden Skandal; aber menschenrechtlich genauer wäre es, von einem Verbrechenskomplex mit verschiedenen einzelnen Taten zu sprechen.
„Missbrauch als Autonomieverletzung“
Das Rechtsgut, das dabei im Mittelpunkt des menschen- und grundrechtlichen Schutzes steht, ist die individuelle Autonomie[12]: Selbstbestimmung mag lebensweltlich zwar inzwischen ein diffuser, oft überzogener Begriff und Anspruch sein, der gerade als sexuelle Orientierung auch seine Grenze in der Autonomie des anderen Menschen, hier des Kindes und Jugendlichen, findet; aber dem menschenrechtlichen Schutz geht es hier um Übergriffe in einem Bereich, in dem keine andere Person Rechte geltend machen darf, positiv formuliert, um die personale Autonomie als zentrales Menschenrecht. Das arbeitet die Theologin Doris Reisinger heraus: Sie setzt beim sprachlich spürbaren Missklang von ‚Missbrauch‘ (englisch auch ,child abuse’ oder ,sexual abuse‘) an: Was missbrauchbar ist, ist auch brauchbar. Das gilt für Dinge, aber nicht für Personen. Eine Person kann nicht im Sinne von ‚falschem Gebrauch‘ missbraucht werden.
„Daher ist in Aussagen …… über sexuellen Missbrauch, oder spirituellen Missbrauch auch nicht ein falscher Gebrauch der Sexualität oder Spiritualität gemeint (das Objekt des Missbrauchs bleibt ja immer die betroffene Person). Gemeint ist vielmehr eine Verletzung der Person, genauer, ein Übergriff in einen Bereich, der ihrer Selbstbestimmung vorbehalten ist, und in dem deshalb keine andere Person Rechte geltend machen kann, vor allem keine, die sie gegen den Willen der betreffenden Person durchzusetzen berechtigt ist. In diesem intimen Bereich besitzt die Person ein moralisches – in aller Regel auch rechtlich festgeschriebenes – Selbstbestimmungsrecht.“ (Reisinger 2021, S.65)
Dieses gesellschaftlich weithin – auch unter Christinnen und Christen – geteilte moderne Autonomieverständnis liegt jedoch nicht dem Kirchenrecht, gefasst im Codex Iuris Canonici (CIC), zugrunde. Das Kirchenrecht kennt nicht die personale Autonomie, sondern nur einen Missbrauch in der Verwendung des Amtes, das seinen Sinn vom Lehramt und letztlich von Gott erhält. Das Kirchenrecht bietet also nur indirekte Ansatzpunkte, um die Autonomie von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Im Jahr 2010 verteidigte der Kirchenrechtler Manfred Baldus das Kirchenrecht als geeignetes Instrument zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauches:
„Die rechtlichen Grundlagen sind dem Titel V im Strafrecht des CIC (cc. 1392 – 1395 ‚Straftaten gegen besondere Verpflichtungen‘), dem Motu Proprio über den Schutz der Heiligkeit der Sakramente (“Sacramentorum sanctitatis tutela” -SST-) vom 30.04.2001, dem Brief der römischen Glaubenskongregation (“De delictis gravioribus” -DDG-) vom 18.05.2001, der von derselben Kongregation am 12.4.2010 veröffentlichten “Verständnishilfe für die grundlegende Vorgangsweise bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs” -VH- und den von der Deutschen Bischofskonferenz unter dem 26.09.2002 erlassenen Leitlinien (“Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche” –Leitl.-) zu entnehmen.“ [13]
Baldus bezieht sich auf die „Sacramentum sanctitatis tutela-Leitlinie“, also dem „Schutz der Heiligkeit der Sakramente“, mit der der Vatikan im Jahr 2010 auf die in den USA und Irland schon seit den 1990er Jahren laufenden Missbrauchsskandale reagierte:
„Straftat im Sinne dieser Handreichung ist jeder äußere Verstoß gegen das sechste Gebot des Dekalogs, der von einem Kleriker mit einem Minderjährigen begangen wurde (vgl. can. 1395 § 2 CIC; Art. 6 § 1, 1° SST).
Die Typologie der Straftat ist sehr weit gefasst und kann zum Beispiel sexuelle Beziehungen (einvernehmlich oder nicht einvernehmlich), physischen Kontakt mit sexuellem Hintergrund, Exhibitionismus, Masturbation, Herstellung von Pornografie, Verleitung zu Prostitution, Gespräche und/oder Angebote sexueller Art, auch über Kommunikationsmittel, umfassen.
Es ist hervorzuheben, dass diese drei Straftaten kanonisch nur ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von SST, also seit dem 21. Mai 2010, strafbar sind.“[14]
Verstöße gegen das 6. der Zehn Gebote sind aber bekanntlich keine Straftaten im Sinne des modernen Strafrechtes. Und die kirchliche Strafe besteht meist in Strafversetzungen; zur Anwendung dieser Maßnahmen gibt es inzwischen ausreichend Beispiele, die ihre Ineffektivität im Sinne der Verhinderung weiterer Straftaten zeigen.
Vom Vergehen zum Verbrechen
Das deutsche Strafgesetzbuch unterscheidet in § 12 StGB zwischen Verbrechen und Vergehen. Dort heißt es: „(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.“ Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist nach § 176 und § 176a StGB immer ein Offizialdelikt. Bislang wurden solche Taten als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren sanktioniert. Es gab somit juristische Gründe, die eine Genauigkeit bei der Verwendung des Terminus ‚Verbrechen‘[15] nahelegten. Aber dieser Stand war gerade angesichts von Verjährungsfristen, Verschleppungstaktiken und Dunkelziffern der Sache nicht angemessen. Der Gesetzgeber hat deshalb im Jahr 2021 reagiert (allerdings nicht nur wegen des sexuellen Missbrauchs in verschiedenen Institutionen, sondern auch wegen einzelner aufsehenerregender Fälle und um Kinderpornografie effektiver bekämpfen zu können):
„Sexueller Missbrauch von Kindern wird künftig immer als Verbrechen eingestuft und mindestens mit einem Jahr Haft bestraft. Der Bundesrat billigte ein entsprechendes Gesetz. Die große Koalition hatte mit dem Gesetzespaket auf mehrere große Missbrauchskomplexe in Deutschland reagiert. Der Kindesmissbrauchs wird künftig mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet.“[16]
Eine für schwere und fortdauernde Menschenrechtsverbrechen, also für ‚Makroverbrechen‘, formulierte kriminologische Definition (wie sie Herbert Jäger ursprünglich für NS-Verbrechen einführte), greift hier nicht; schließlich handelt es sich um keine systematische Planung und es gibt keine nachweisbare kollektive Verbrechensabsicht. Die Kriminologie kollektiver Gewalt geht nicht von individuellem Handeln und isolierten Taten aus, sondern von einem „kollektiven Aktionszusammenhang“, der eine notwendige Rahmenbedingung individuellen Handelns“ (Jäger 1989, S.12) ist. Nicht für die Taten und Täter selbst, wohl aber für das folgende kriminelle Vertuschen bis hin zur Strafvereitelung, muss hier aber doch von einem institutionalisierten „Aktionszusammenhang“ gesprochen werden. Die Klärung dieses Handlungszusammenhanges steht inzwischen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. „Die Institution Katholische Kirche habe zuerst ‚das Verbrechen des Kindesmissbrauchs gar nicht wahrgenommen, sondern hatte vielmehr den Verstoß des Klerikers gegen sein Zölibatsversprechen im Blick‘. Im Kirchenrecht sei das bis heute so.“ [17] stellte der Sprecher der Initiative Eckiger Tisch von Missbrauch Betroffener, Matthias Katsch, im Rückblick fest. Erst der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser fand in einem Bußgottesdienst am 18.11. 2021 die klare Formulierung: „Von Priestern und weiteren kirchlichen Mitarbeitern unseres Bistums ist eine große Zahl von Verbrechen sexualisierter Gewalt an Schutzbefohlenen verübt worden. Als derzeitiger Leiter des Erzbistums sei er ‚Chef der Täterorganisation Erzbistum Köln‘“.[18] Papst Franziskus nennt im Schreiben „Vos estis lux mundi“ („Ihr seid das Licht der Welt“) vom 20. August 2018 den Machtmissbrauch der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen durch Priester „ein Verbrechen“. Er stellt fest, „dass die Wunden nie verschwinden und uns mit Nachdruck verpflichten, diese Gräueltaten zu verdammen, wie auch die Anstrengungen zu bündeln, um diese Kultur des Todes auszumerzen“ [19](
Papst Franziskus hatte verfügt, dass Priester und Ordensleute jeden Verdacht eines Missbrauchs ihren Vorgesetzten anzeigen müssen.
Aus den Personalakten: Dimensionen und Zahlen der MHG-Studie
Eine Auseinandersetzung mit den menschenrechtlichen Dimensionen sollte die zahlenmäßigen Größenordnungen nicht außer Acht lassen und die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschungen zu Täter- und Betroffenenzahlen mit einbeziehen. Die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene Untersuchung (als ‚MHG-Studie‘ bekannt, leistet das;[20] auf sie stützt sich auch Großbölting in seiner umfassenden Darstellung. Aus ihr ergibt sich die Anzahl der wegen Missbrauch von Minderjährigen beschuldigten Kleriker im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland in den Jahren von 1946 bis 2014. Im genannten Zeitraum fanden sich bei insgesamt 1670 Klerikern innerhalb der katholischen Kirche Hinweise auf einen Missbrauch von Minderjährigen. Allerdings konnten in der zugrunde liegenden Studie nur Betroffene bzw. Fälle erfasst werden, zu denen es in den Personalakten der Kleriker Hinweise gab. Die Zahlen spiegeln also nur das sogenannte Hellfeld wieder, aus der Dunkelfeldforschung des sexuellen Missbrauchs ist bekannt, dass die Zahl der tatsächlich Fälle deutlich höher liegen dürfte.
Die MHG-Studie hat auch Daten zur „Pädophilie bei Beschuldigten“, „Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung“ und „psychosoziale Vorbelastungen und Risikoverhalten von Beschuldigten“ (so die Kapitelreihenfolge in der Zusammenfassung der Studie) erhoben.
Auf die naheliegende Frage, wie viele Täter verurteilt wurden, fällt die Antwort nicht leicht: Die ca. 20 000 jährlichen Fälle der polizeilichen Ermittlungsstatistik sind nicht aufschlussreich, weil darin die Fälle von Kinderpornografie enthalten sind. Die oben genannten 1670 wegen Missbrauch von Minderjährigen beschuldigten Kleriker im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland lassen wiederum die Zahl der Strafverfahren und ihren Ausgang offen.
2. Um wen geht es? Täter, Betroffene und das System der Vertuscher
Täter sind im strengen juristischen Sinne nur die in einem öffentlichen Verfahren rechtskräftig Verurteilten. Diese Verfahren fanden große öffentliche Aufmerksamkeit. Die katholische Kirche war zuerst um ihr Ansehen besorgt. „Die betroffenen Opfer, ihr Leid, wurden nicht gehört. Es mangelte offensichtlich an der Sensibilität, der Empathie, dem Mitleiden. Das ist und bleibt entsetzlich und unfassbar. Es offenbart, welch schreckliches und menschenverachtendes System die Kirche sein kann. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu relativieren.” (Müller 2021, S. 12) Die MHG-Studie enthält Daten zum Alter und Geschlecht der Betroffenen mit dem häufigsten Beziehungskontext Ministrant, Religionsunterricht und Seelsorge.
Betroffene haben sich spät organisiert. Erst dadurch, dass sie an die Öffentlichkeit getreten sind, ist die Dynamik von ‚Wahrheit und Gerechtigkeit‘ in Gang gekommen. Selbsthilfegruppen und eigenständige Initiativen gibt es seit 2010: Das Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt (netzwerkB) https://netzwerkbplus.de/ und der „Eckige Tisch“ für die Betroffenen aus dem Berliner Jesuiten-Gymnasien https://www.eckiger-tisch.de/.
Gibt es unter katholischen Klerikern besondere ‚Dispositionen‘ für Vergehen und Verbrechen des sexuellen Missbrauchs? Im Zusammenhang mit den weltweiten Missbrauchsskandalen ist immer schon über Zölibat, Homosexualität und Pädophilie spekuliert worden. Dabei entstand ein Gemisch von Vermutungen über entsprechende ‚Seilschaften‘ bis in den Vatikan, psychosexueller Biographien der einzelnen Kleriker und homophober Spekulationen. Das alles kann hier nicht entwirrt oder entfaltet werden. Unter „Hinweise auf Homosexualität bei Beschuldigten“ ist in der Zusammenfassung der MHG-Studie zu lesen (pdf S.4) : „Dokumentierte Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung lagen bei 14,0 Prozent bzw. 19,1 Prozent der beschuldigten Kleriker vor. Dies war gegenüber der Vergleichsgruppe aus anderen institutionellen Kontexten wie z.B. Schulen (6,4 %,) stark erhöht. In Teilprojekt 2 fanden sich bei 72 Prozent der interviewten beschuldigten Kleriker Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung und bei 12 Prozent der interviewten nicht beschuldigten Kleriker.“ Dazu aber ist zu ergänzen, dass der Prozentsatz von homosexuell orientierten Klerikern der Katholischen Kirche mit großer Wahrscheinlichkeit über dem der Gesamtbevölkerung liegt. Das wiederum verführt zu dem homophoben Fehlschluss, dass es damit auch einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und sexuellem Missbrauch gäbe. Großbölting geht auf die Diskussion ein und verweist in seinem Kapitel „Wer sind die Täter? Zölibat, Homosexualität, Pädophile“ (116-127) auf die drei „Idealtypen“ hin, die in der MHG-Studie entwickelt werden: Pädophil-fixierte Täter, der narzistisch-soziopathische Typ, der regressiv-unreife Typ und fügt dem eine vierte Kategorie hinzu, den pastoral-manipulativen Typ (Großbölting 2022, S. 126 f.). Auf einen Versuch eines m.E. angemessenen Umgangs mit dieser Frage aus der psychotherapeutischen Erfahrung heraus möchte ich doch hinweisen: Wunibald Müllers schon im Jahr 2010 erschienener Erfahrungsbericht „Verschwiegene Wunden. Sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erkennen und verhindern” (Müller 2010). Darin widmet er sich in zwei Kapiteln den Fragen von „Zölibat und sexueller Missbrauch“ und „Homosexualität und sexueller Missbrauch“.
Einen neuen, eigenständigen Forschungsansatz favorisieren die Autorinnen und Autoren der Münsteraner Studie (Frings u.a. 2022, S. 16):
„Die sogenannte routine activity theory hebt nicht so sehr auf die charakterliche oder psychische Disposition des Täters ab, sondern vielmehr auf die Situation, die Gelegenheitsstruktur krimineller Taten. Diese sind demnach immer dann möglich, wenn folgende situative Akteurskonstellation vorliegt: Es muss erstens einen Täter mit der entsprechenden Motivation geben, zweitens ein geeignetes Tatobjekt bzw. ein Opfer und drittens dürfen keine ausreichenden Schutz- bzw. Kontrollmechanismen eines möglichen Wächters über die Situation bestehen, welche die Tat verhindern könnten.“
3. Institutionelle Aufarbeitung nur unter äußerem Druck
Auch die Katholische Kirche in Deutschland selbst begann ab 2010 mit der Aufarbeitung und einer verbesserten Unterstützung der betroffenen Opfer. Zwar gab es schon seit 2002 neue Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (s.o.); aber erst mit der Ernennung von Missbrauchsbeauftragten seit 2010 (beginnend mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann, inzwischen in jedem Bistum) kam die Anerkennung des Leides und die Zahlung an die Betroffenen in Gang. Der im Jahr 2010 erklärte und oft bekräftigte Wille der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zur Aufarbeitung und Strafverfolgung wird vielfach bezweifelt. Die DBK erklärte im März 2010:
„Die Kirche unterstützt die staatlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche vorbehaltlos. Sie fordert Geistliche zu einer Selbstanzeige auf, wenn Anhaltspunkte für eine Tat vorliegen, und informiert von sich aus die Strafverfolgungsbehörden. Darauf wird nur unter außerordentlichen Umständen verzichtet, etwa wenn es dem ausdrücklichen Wunsch des Opfers entspricht. […]“ [21]
Dennoch wurden durch die aktive oder passive Abwehr, durch die vielen ‚Vergesslichkeiten‘, Unzuständigkeitserklärungen und schleppenden Schuldeingeständnisse die ‚Hirten selbst schuldig‘. Diese Dimension während und nach den konkreten, über Jahre geschehenen Taten, ist zum zweiten Teil des Skandals geworden („Der Skandal im Skandal“, Großbölting 2022, 127-131). Ein Beispiel aus der MHG-Studie (S.4): Bei 33,9 Prozent der Beschuldigten war dokumentiert, dass ein kirchenrechtliches Verfahren wegen sexuellem Missbrauch Minderjähriger eingeleitet worden war, wohingegen dies bei 53,0 Prozent nicht der Fall war.
Am Ende wird die Auseinandersetzung mit dem grundsätzlichen Problem klerikaler Macht unvermeidlich (siehe Großbölting 2022, S. 223 ff.). Für eine kritische Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der Katholischen Kirche sind die vielen Maßnahmen wie die Sanktionierung einzelner Beschuldigter, öffentliches Bedauern, finanzielle Leistungen an Betroffene, das Implementieren von Präventionskonzepten und einer Kultur des achtsamen Miteinanders zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Dieser Kritik geht es um die doppelte Macht des Klerus: Denn neben der über Jahrhunderte entfalteten weltlichen Herrschaft und Macht des Klerus wurde und wird die Machtdimension auf der spirituell-sakralen Ebene entfaltet, als Pastoralmacht. Theologisch-ekklesiologisch gesprochen: „Repräsentation und Repräsentant bilden einen sakralen Zusammenhang. In der katholischen Kirche zeigt sich das im repräsentativen Übergang von Jesus Christus und Priester. Er handelt ‚in persona Christi.‘ Kirche hat also eine soziale und eine sakrale Gestalt.“ [22]
In dieser Verknüpfung werden die systemischen Ursachen, oft auch Klerikalismus genannt, gesehen. Aber der Blick auf den strukturellen Kontext darf die individuelle Verantwortlichkeit von Straftätern nicht verdecken.
4. Lahme Ente? Verpflichtungen des Staates
Eine kritisch-säkulare Öffentlichkeit fragt hier nach den Handlungspflichten von Staat und Justiz. Unter der Überschrift „Der Staat als lame duck“ formuliert Großbölting ein vernichtendes Urteil:
“Eine zumindest flankierende Rolle für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche müsste in Deutschland der Staat einnehmen – tut es aber nicht. Sexueller Missbrauch, so macht es den Eindruck, lähmt nicht nur die Opfer und bringt diese zum Schweigen, sondern auch die Politik. Nicht nur in der juristischen Verfolgung von Missbrauchstaten blieben staatliche Stellen merkwürdig zurückhaltend und schauten öfter weg als hin. Auch in der Aufarbeitung nahmen Politik und Staat bis heute eher passive Rollen ein.” (Großbölting 2022, S. 221)
Allerdings kann in der Einrichtung und Arbeit der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (seit Januar 2016) ein Aktivposten gesehen werden. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) ist zuständig für die Anliegen von Betroffenen und deren Angehörigen, für die Wissenschaft sowie für alle Menschen, die sich gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen engagieren. Der neuen Bundesregierung ist das zu wenig: Der SPD- Generalsekretär Kevin Kühnert stellte auf dem Katholikentag 2022 in Stuttgart fest, dass es „ein Fehler gewesen sei, dass der Staat die Aufarbeitung von Missbrauch den Kirchen überlassen habe“. Auf derselben Veranstaltung forderte der religionspolitische Sprecher der Partei, Lars Castellucci, mehr Verbindlichkeiten bei der Aufarbeitung. Er plädierte dafür, dass die unabhängige Aufarbeitungskommission nicht nur ehrenamtlich arbeite, sondern so ausgestattet werde, dass sie regelmäßig Berichte verfassen könne, die dann vom Bundestag diskutiert werden sollten.[23] Die neue (seit 2022) Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sieht gute Chancen für die Schadenersatzklage eines Missbrauchsopfers gegen das Erzbistum Köln: „Diese Klage ist ungeheuer wichtig, auch wenn der Rechtsweg sehr langwierig werden dürfte. Hier gehe es um sehr grundlegende Rechtsfragen, nämlich die Amtshaftung einer Institution für ihre Beschäftigten.“ [24].
Fazit: Menschenrechte müssen auch in der Katholische Kirche beheimatet werden
Unter dem Dach der Katholischen Kirche gibt es weltweit, aber auch in Deutschland, aktive Menschenrechtsgruppen und viele profilierte, engagierte Einzelpersonen; ein verbindendes Ziel ist die aktive Anerkennung der Grund- und Menschenrechte in der Kirche selbst über ihre unbestrittene rechtliche Geltung hinaus. Der Aktivist und Theologieprofessor Daniel Bogner schreibt seiner Kirche in die Agenda: „Mit kirchlicher Gewaltenteilung ließe sich sakralisierte Macht verflüssigen. Durch Teilen der Macht nimmt sie nicht ab, sondern gewinnt Autorität. […] Dazu zählen operationalisierbare Verfahren und einklagbare Rechte. Dazu gehört vor allem Transparenz von Entscheidungen.“ (Bogner 2007, S. 126) Der Kirchenrechtler Adrian Loretan fordert angesichts von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch „ein Bekenntnis zu den Menschenrechten jeder Person, auch der Kinder und Jugendlichen“ (Loretan: „Einklagbare Grundrechte“ in: Herder Korrespondenz 2/2019, S. 28-31). Und der Münchner Diözesanratsvorsitzende Hans Tremmel formuliert (bezogen auf die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes) bei der oben genannten Veranstaltung mit Söder in München) seine Utopie: „Dass die Kirche ganz vorne mitmarschiert, wenn es um Menschenrechte geht und um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, um faire und gerechte Strukturen.”[25] Zu ergänzen wäre: und um den Schutz von Jugendlichen und Kindern.
Literatur
Bogner, Daniel (2007): Ausverkauf der Menschenrechte? Warum wir gefordert sind. Freiburg im Breisgau, Basel, Wien: Herder. Online verfügbar unter https://swbplus.bsz-bw.de/bsz260719536kla.htm.
Bogner, Daniel (2020): Ihr macht uns die Kirche kaputt. … doch wir lassen das nicht zu! 2. Auflage. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Online verfügbar unter http://www.content-select.com/index.php?id=bib_view&ean=9783451821066.
Deschner, Karlheinz (1990): Kriminalgeschichte des Christentums. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Deutsche Bischofskonferenz (DBK)2018: MHG-Studie-Endbericht-Zusammenfassung.pdf (dbk.de) https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-Endbericht-Zusammenfassung.pdf
Frings, Bernhard; Großbölting, Thomas; Große Kracht, Klaus; Powroznik, Natalie; Rüschenschmidt, David (2022): Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Online verfügbar unter https://swbplus.bsz-bw.de/bsz1774633582kla.htm.
Großbölting, Thomas (2022): Die schuldigen Hirten. Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. 1. Auflage. München: Verlag Herder. Online verfügbar unter http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-epflicht-2001447.
Hitchens, Christopher (2009): Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet. 3. Aufl., Taschenbucherstausg. München: Heyne (Heyne, 62036).
Jäger, Herbert (2016): Makrokriminalität. Studien zur Kriminologie kollektiver Gewalt, Frankfurt/Main (suhrkamp taschenbuch wissenschaft),
Müller, Wunibald (2010): Verschwiegene Wunden. Sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erkennen und verhindern. Unter Mitarbeit von Anselm Grün. München: Kösel.
Müller, Wunibald (2020): Verbrechen und kein Ende? Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise. 1st ed. Würzburg: Echter Verlag. Online verfügbar unter https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=6724117.
Reisinger, Doris (2021): Religiöse Eigenlogik und ihre Konsequenzen Eine Analyse der katholischen Mehrdeutigkeit des Missbrauchsbegriffs S. 59 – 73, in: Reisinger, Doris (Hg.) (2021): Gefährliche Theologien. Wenn theologische Ansätze Machtmissbrauch legitimieren. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet.
Fußnoten
[1] Großbölting ist der Verfasser einer „Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche“ (2022) und mit der Aufarbeitung im Bistum Münster beauftragt.
[2] Herder Korrespondenz Monatszeitschrift für Gesellschaft und Religion, Heft 2/2021 S. 20-22
[3] “Die Phänomene »NS-Aufarbeitung« und »Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch« sind ohne Zweifel hoch unterschiedlich: auf der einen Seite eine Diktatur, die von großen Teilen der deutschen Gesellschaft getragen war, auf der anderen Seite sexueller Missbrauch an Schutzbefohlenen durch einen kleinen Teil der mit Blick auf die Gesellschaft ebenfalls kleinen Gruppe katholischer Kleriker. Dennoch lässt sich aus dem Abgleich dieser beiden Vorgänge viel lernen und vielleicht sogar der eine oder andere »Standard« für die aktuelle Aufgabe entwickeln:” (Großbölting 2022, S. 216)
[4] Einen aktuellen Rückblick auf den Kampf gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen in Lateinamerika gibt Rainer Huhle (2022) https://www.fdcl.org/wp-content/uploads/2022/08/WEB_Straflosigkeit_RainerHuhle_2022-1.pdf
[5] Mein Blick geht dabei auch auf die Arbeit des Deutschen Institutes für Menschenrechte (das sicherlich professionell in Arbeitsfelder gegliedert ist) oder auf das aktuelle Heft der zeitschrift für menschenrechte (Jg. 16, 2022/1, Wochenschau-Verlag Frankfurt/Main) mit dem Thema „Die Menschenrechte des Kindes“.
[6], vgl. Marianne Heimbach-Stein: Macht – Missbrauch Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und die Krise der katholischen Kirche, in: Soziale Passagen (2010) S. 227–240 VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden.
[7] https://www.domradio.de/artikel/muenchner-missbrauchsgutachten-ist-ein-halbes-jahr-alt
[8] Zum Gesamtkomplex gibt es sehr detaillierte Einträge in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Sexueller_Missbrauch_in_der_r%C3%B6misch-katholischen_Kirche_in_Deutschland#Erste_Sch%C3%A4tzungen_
[9] Ich beziehe mich nicht auf die katholische Weltkirche, die evangelischen Kirchen, die Freikirchen oder die Odenwaldschule, Sportvereine oder andere Verbände oder auf DDR-Institutionen; vgl. zur Frage, ob die Katholische Kirche der „Hotspot“ des sexuellen Missbrauchs ist (Großbölting, ebd., S. 116–127).
[10] Bekanntlich gibt es die „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Karlheinz Deschner), in der das anders gesehen wird. In Bezug auf die Inquisition hat Deschner Recht; und auch die ‚bewaffneten Wallfahrten nach Jerusalem‘ begannen mit Verbrechen an den jüdischen Gemeinden Mitteleuropas. Vgl. auch Christopher Hitchens 2009, Kapitel „Ist die Religion Kindsmissbrauch?“ S. 263-276). Hitchens nennt in seiner Polemik den Begriff ‚Kindsmissbrauch‘ einen „Euphemismus“ (ebd., S. 275).
[11] Ich lasse hier die inzwischen auch vielfach reflektierte Dimension ‚sexualisierte Gewalt‘ und ‚geistiger und sexueller Missbrauch‘ beiseite; sie hängen mit dem Kern zusammen, sind aber gegenüber meinem Gesichtspunkte „Menschenrechtsverbrechen“, Dimensionen, die Schuld und Strafe nicht direkt und eindeutig berühren.
[12] Siehe auch Großbölting 2022, S. 31-36, Kapitel „Sexueller Missbrauch als Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes“.
[13] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexueller-missbrauch-durch-kleriker-das-kirchenrecht-als-taugliche-grundlage-angemessener-sanktionierung/
[14] https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-07/vatikan-vademecum-leitlinien-missbrauch-glaubenskongregation-deu.html
[15] Am 3. 2. 2022 berichtete die dpa unter der Überschrift „Empörung über Äußerungen von Bischof Voderholzer“: „Der konservative Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer hat am Donnerstag bei der Synodalversammlung in Frankfurt am Main Empörung mit Äußerungen über sexuellen Missbrauch ausgelöst. Voderholzer verwies darauf, dass eine Strafrechtsreform von 1973 Kindesmissbrauch nicht mehr als Verbrechen gewertet habe «und zwar auf der Basis von sexualwissenschaftlichen Urteilen, die davon ausgehen, dass für die betroffenen Kinder und Jugendlichen die Vernehmungen wesentlich schlimmer sind als die im Grunde harmlosen Missbrauchsfälle». Dies müsse berücksichtigt werden, wenn heute über das Verhalten der Kirche in den 1970er und 80er Jahre geurteilt wird, sagte Voderholzer.“
Mehrere Delegierte verurteilten Voderholzers Äußerung scharf. …Vorderholzer meldete sich daraufhin noch einmal zu Wort und versicherte, er sei missverstanden worden. Er habe sich die damals verbreitete Auffassung gerade nicht zu eigen machen wollen. «Ich halte die Verharmlosung des sexuellen Missbrauchs für verheerend», beteuerte er.
[16]https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/bundesrat-sexueller-kindesmissbrauch-gesetzesverschaerfung-verbrechen-haftstrafe
[17] https://www.tagesspiegel.de/politik/kirche-hatte-nie-ein-interesse-alle-opfer-zu-erfassen-3997231.html
[18] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/erzbistum-koeln-missbrauch-schuldbekenntnis-100.html
[19] https://www.vatican.va/content/francesco/de/letters/2018/documents/papa-francesco_20180820_lettera-popolo-didio.html.)
[20] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-Endbericht-Zusammenfassung.pdf). Einschränkend heißt es in der Zusammenfassung (S.3 des MHG-pdf-Dokumentes): „Alle Befunde sind unter den oben aufgeführten methodischen Einschränkungen zu interpretieren. Ungeachtet der deklarativen Aussageform, in der die nachstehenden Ergebnisse dargestellt werden, beziehen sich die Ergebnisse stets nur auf die analysierten Stichproben oder Datenbestände. Verallgemeinerungen über diese Geltungsbereiche hinaus sind nicht zulässig. Für Details wird auf die jeweiligen Kapitel zu den Teilprojekten verwiesen.“
[21] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse/2010-132a-Leitlinien.pdf
[22] So der Theologe Gregor Maria Hoff im Jahr 2019 in einem Vortrag unter dem Titel „ Sakralisierung der Macht Theologische Reflexionen zum katholischen Missbrauch-Komplex“, https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019-038c-FVV-Lingen-Studientag-Vortrag-Prof.-Hoff.pdf
[23] Beide Stimmen unter: https://app.evangelisch.de/inhalte/196416/28-01-2022/spd-politiker-castellucci-fordert-kultur-des-hinsehens-bei-missbrauch
[24] https://www.welt.de/regionales/nrw/article240555167/Missbrauchsbeauftragte-Gute-Chancen-fuer-Klage-gegen-Kirche.html
[25] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-soeder-marx-erzbistum-muenchen-und-freising-jahresempfang-1.5620163