Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern

22. April 2024 | Von | Kategorie: Menschenrechte verstehen

von Felix Krauß und Katharina Grillmeyer – der vollständige Artikel steht auch hier als PDF-Download bereit.

Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte

Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist derzeit ein sehr umstrittenes Thema, da die Bezahlkarte zum Teil mit menschenrechtlich problematischen Implikationen einhergeht. Eine kritische, einordnende Analyse der Umsetzung in Bayern mitsamt Empfehlungen ist hier abrufbar.

Berichte, Artikel und Nachrichten zum Thema Bezahlkarte drehen sich im öffentlichen Diskurs oft um die Betroffenen, sie werden jedoch selten miteinbezogen. Das wollen wir ändern und auch Geflüchteten eine Möglichkeit bieten, sich zu äußern und ihre Meinung auszusprechen. Nach langer Suche erklärte sich schließlich ein Betroffener in einem der Pilot-Gebiete in Bayern bereit, Fragen zu seiner Situation zu beantworten und mit uns ins Gespräch zu kommen. Aufgrund von Bedenken des Betroffenen, dass sich öffentliche Äußerungen nachteilig auf das eigene Asylverfahren auswirken könnten, wird die Anonymität des Interviewten im Folgenden vollständig bewahrt.

Das Gespräch wurde am 05. April 2024 um 10:30 Uhr auf Englisch geführt, aufgenommen, anschließend transkribiert und ins Deutsche übersetzt.

NMRZ: Wie lange leben Sie schon in Deutschland?

Betroffener: Ich lebe seit zwei Jahren in Deutschland. Ich bin 2022 im Februar hierhergekommen.

Seit wann haben Sie die Bezahlkarte?

Ich habe die Karte jetzt seit zwei Wochen.

Hat das Auszahlungssystem, bevor Sie die Karte erhalten haben, funktioniert?

Ja, das Geld wurde an meine Bank überwiesen und ich konnte es dort in bar abholen. Es gab keine Probleme.

Wie viel Geld erhalten Sie generell im Monat? Reicht das Geld?

Ich erhalte 460 Euro. Es ist genug, da ich zur Schule gehe und ich es nur für Essen und Kleidung brauche.

Jetzt besitzen Sie die Bezahlkarte. Hat die Einführung der Karte Ihr Einkaufsverhalten verändert?

Ja, es hat sich sehr, sehr schlecht verändert. Ich habe online viele Schulden gesammelt, die ich abbezahlen muss. Aber ich kann die Schulden nicht bezahlen, weil ich aufgrund der Karte nicht online bezahlen kann. Das ist sehr schlecht für mich.

Funktioniert die Karte? Gab es bisher Probleme?

Die Überweisung funktioniert, aber ich habe die Karte jetzt erst seit zwei Wochen. In manchen Orten funktioniert die Karte nicht, man kann dort nichts kaufen. Selbst in Bayern kann ich sie nicht benutzen, nur in meinem Postleitzahlengebiet. Das ist sehr beunruhigend.

Sie können kein Geld in andere Länder überweisen, zum Beispiel in Ihr Heimatland. Hat das Auswirkungen auf Sie bzw. betrifft es Sie?

Ich schicke kein Geld in mein Land. Ich möchte das Geld hier persönlich für mich verwenden, um Lebensmittel und andere Dinge zu kaufen.

Ist es Ihres Wissens für andere Asylbewerber ein großes Problem, dass sie kein Geld in ihre Heimatländer überweisen können?

Ja, ich kenne viele Menschen. Ihr Leben ist jetzt anders.

Sie können 50 Euro in bar von der Karte pro Monat abheben. Ist das genug? Wenn nicht, warum nicht?

Es ist nicht genug, es ist im Moment sehr beunruhigend, auch für viele Menschen, die ich kenne.

Sie können nur bestimmte Online-Einkäufe tätigen (Whitelist). Sind Sie davon betroffen?

Es ist ein großes Problem. Man kann keine Telefonrechnungen (z.B. o2) bezahlen, weil die Vorgänge online stattfinden. Das ist ein sehr großes Problem für mich und viele andere Menschen. Vor der Einführung der Karte konnte ich mein Bankkonto mit Online-Shopping verbinden.

Sie können die Karte nur in bestimmten Postleitzahlengebieten verwenden. Ist das ein Problem für Sie?

Ja, ein großes Problem. Ich war in München und konnte die Karte dort nicht benutzen. Sie sagten, dass sie in diesem Gebiet nicht funktioniert. Ich musste zurück nach Hause fahren und konnte nichts einkaufen.

Ist das schon häufiger vorgekommen?

Ja, an vielen Orten schon. Man kann die Karte nur im eigenen Wohngebiet verwenden.

Wie stark sind Sie von der Einführung der Karte betroffen?

Es ist sehr störend und die Karte funktioniert für mich überhaupt nicht.

Fühlen Sie sich von der Umsetzung der Bezahlkarte und der Regierung respektiert und berücksichtigt?

Meiner Meinung nach sollten sie [die Regierung, Anmerkung der Redaktion] darüber nachdenken, was die Karte angerichtet hat. Es ist sehr, sehr schlecht für mich und andere Flüchtlinge. Auch für andere Menschen, die Geld nach Afrika oder in andere Länder schicken wollen, ist es ein sehr großes Problem. Ich möchte, dass die Regierung sich zusammensetzt und das Ganze überdenkt, denn es hat schon viele Beschwerden gegeben. Denken Sie [die Verantwortlichen, Anmerkung der Redaktion] an die Menschenrechte, wir wollen hier nicht als Flüchtlinge, sondern als Bürger leben und respektiert werden.

Wie haben Sie die öffentliche Diskussion um die Karte erlebt?

Ich fühle mich unwohl, wenn man über uns Flüchtlinge spricht. Ich bin nicht glücklich. Manchmal, wenn ich rausgehe und meinen Ausweis zeige oder die Karte verwende, fühle ich mich unwohl. Die Leute wissen dann, dass ich ein Flüchtling bin, und sie werden anders über mich denken.

Was würden Sie an der aktuellen Version der Karte in Bayern ändern, wenn Sie könnten? Was wäre aus Ihrer Sicht ein besserer Weg?

Meine Idee wäre, das System anzupassen. 50 Euro sind für uns Flüchtlinge ein sehr kleiner Betrag. Das restliche Geld ist auf der Karte und manchmal kann ich sie nicht benutzen. Wenn ich nach Berlin oder Hamburg muss, kann ich die Karte auch nicht benutzen, sondern nur in Bayern. Aus meiner Sicht kann man die Bezahlkarte also beibehalten, wenn man sie überall und auch online benutzen kann. Das wäre gut.

Wenn Sie [die Verantwortlichen, Anmerkung der Redaktion] schon das System anpassen, lassen Sie uns die Karte auch benutzen. Wir können unser Leben als Menschen nicht leben. Man darf uns nicht daran hindern, die Karte zu verwenden und einzukaufen. Viele Menschen haben verschiedene Schulden zu begleichen. Jeder möchte sie bezahlen, kann aber das Geld auf der Karte nicht benutzen. Wenn sich die Regierung darauf einigen kann, wäre das gut.

Vielen Dank für das Gespräch.

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