Nürnberger Gesetze – 75 Jahre danach! Pressestimmen zur Großveranstaltung

29. September 2010 | Von | Kategorie: Aktuelles, Vergangenheitspolitik

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Kampf gegen Diskriminierung geht alle an

Erinnerung an die „Nürnberger Gesetze“ verpflichtet — Maly: „Sie waren ein Fahrplan nach Auschwitz“

VON HERBERT FUEHR

NÜRNBERG — Für das wohl schlimmste Gesetzeswerk der Geschichte war Nürnberg eigentlich nur unfreiwilliger Namensgeber. Jene „Blutschande – Gesetze“, die auch als „Fahrplan nach Auschwitz“ formuliert wurden, waren ein gesamt-deutsches nationalsozialistisches Machwerk, sagte Oberbürgermeister Ulrich Maly.

Die Stadt habe sich aber ihrer Verantwortung gestellt, betonte er auf einer Veranstaltung im Dokumentationszentrum, mit der das Nürnberger Menschenrechtszentrum, das Menschenrechtsbüro der Stadt und die Israelitische Kultusgemeinde an den 75. Jahrestag der Verabschiedung der Gesetze erinnerten. Erinnerten, um auch Lehren für den heutigen Kampf gegen Diskriminierung zu ziehen.

Wer könnte das Grauen der Verfolgung, das mit den „Blutschande- Gesetzen“ eine pseudo-rechtliche Grundlage erhielt, besser beschreiben als Arno Hamburger?

Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg war zwölf Jahre alt, als die Nazis als Höhepunkt ihres Nürnberger „Reichsparteitags der Freiheit“ das „Reichsbürgergesetz“ beschlossen.

Nicht auffällig verhalten

Hamburger zitierte die entscheidenden Passagen dieses Machwerks und schilderte aus eigener Erfahrung, welche unmittelbare Wirkung es auf das Leben der Juden in Nürnberg (und überall in Deutschland) hatte. Zu Hause sei ihm, der die jüdische Volksschule besuchte, eingetrichtert worden, sie sollten sich nicht auffällig verhalten und sich keinesfalls anmerken lassen, dass sie Juden seien. „Der Denunziation war Tür und Tor geöffnet“, berichtete Hamburger.

Mitbürger seien schon „beim geringsten Anschein eines Verdachts auf Rassenschande“ zur Polizei gelaufen und hätten Anzeige erstattet. Und wenn die Polizeibehörden keine Bestätigung für den Verdacht fanden, konstruierten sie eine. Als bekanntestes Beispiel nannte Hamburger den Fall des letzten Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Leo Katzenberger, der nach einem Schauprozess 1942 hingerichtet wurde.

Hamburgers Fazit: „Wir müssen uns gegen jede Form der Diskriminierung, die auch in unseren Tagen immer wieder geschieht, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren, weil sie zu Mord und Totschlag führt.“ Professor Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschen¬rechte und Menschenrechtspolitik an der Uni Erlangen-Nürnberg, schlug den Bogen in die Gegenwart noch wei¬ter. Nach dem Krieg hätten die Deutschen über das Zerstörungswerk der Nazis oft in Kategorien von „Schicksal“ oder „Verhängnis“ gesprochen und dabei ausgeblendet, dass es sich dabei um bewusste Politik handelte.

Die Nazis hätten Recht nicht nur gebrochen, sondern pervertiert: Die „Nürnberger Gesetze“ zerstörten laut Bielefeldt die Prämisse jedes Rechts, nämlich „die Achtung, die wir als Menschen um der Würde aller Menschen willen einander schulden“.

Nicht das Individuum habe gezählt, sondern nur eine angebliche „Reinheit des Blutes“, sagte Bielefeldt, der seit kurzem UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist. Aus dieser Erfahrung heraus seien Menschenrechte immer wesentlich Antidiskriminierungsrechte, denn die Menschenwürde gelte für alle gleichermaßen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Zugehörigkeit und Überzeugungen. Ohne auf das Buch von Thilo Sarrazin direkt einzugehen, äußerte sich Bielefeldt am Rande auch zu der dadurch ausgelösten Debatte.

Absage an Rassismus

In vielen Leserbriefen und Internet-Blogs werde fälschlich der Eindruck vermittelt, man dürfe aufgrund der Geschichte des Holocaust in Deutschland auch heute noch „nicht alles sagen“. Die klare Absage an alle Formen von Rassismus, so Bielefeldt, sei aber die Voraussetzung der demokratischen Debattenkultur, die insgesamt auf elementaren Fairness-Prinzipien beruhe. Deshalb gelte es, gegen Rassismus und andere Formen von Diskriminierung aktiv vorzugehen.

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Bei der Veranstaltung im Dokumentationszentrum erinnerten Professor Heiner Bielefeldt, Arno Hamburger, Helga Riedl und Ralf Possekel (von links) an die „Nürnberger Gesetze“. Foto: Karlheinz Daut

An diesen Punkt knüpfte Helga Riedl vom Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ) an, als sie das Bildungsprojekt „Diskriminierung trifft uns alle!“ erläuterte. Dieses sei aus der Erkenntnis entstanden, dass Diskriminierungserfahrungen weniger in Extremsituationen gemacht würden, sondern im Alltag: Bei der Arbeit oder der Bewerbung, bei der Wohnungssuche, in Ämtern sowie beim Abschluss von Verträgen.

Das NMRZ-Projekt — Studientage mit einer mobilen Ausstellung — wende sich an Schüler ab der 7. Jahrgangsstufe, erläuterte Brandstätter, auch an Berufsschulklassen, Studierende und interessierte Gruppen. Im Mittelpunkt stünden vier Tafeln: drei zu den „Nürnberger Gesetzen“, zu Fragen der Ursachen und Folgen von Diskriminierung und zur heutigen Gesetzeslage; die vierte sei leer und solle von jeder Gruppe mit eigenen Ideen ausgefüllt werden. Heiner Bielefeldt nennt das ein Modell effizienter Antidiskriminierungsarbeit, die Schule machen müsse.

Auch von Ralf Possekel von der Berliner Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ bekam das NMRZ dafür großes Lob. Es zeige mit kreativen Aktionen, wie wichtig Erinnerung und Menschenrechtsbildung seien, um auf Herausforderungen von Diskriminierung zu reagieren.

Copyright (c)2010 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 16.09.2010

Weitere Pressestimmen zu unserer Arbeit:

Im Bayerischen Rundfunk zu unserer Großveranstaltung

Im Bayerischen Rundfunk zu unserem Studientag

In der Nuernberger Zeitung zu den Rassegesetzen

Bei RadioZ zu unserer Unterschriftenaktion

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