Der Hauch von Olympia in Baku – Ein Sinnbild der politischen Instrumentalisierung von Sportereignissen

26. Juni 2015 | Von | Kategorie: Weltregionen, Europa

von Felix Sippel

Der Weltklasseturner Fabian Hambüchen holt Gold, doch die deutschen Volleyballfrauen müssen ihre Medaillenträume begraben. Diese Meldungen erreichen uns in diesem Sommer fast schon beiläufig aus dem fernen Baku – anlässlich der European Games. Aber was sind diese Europaspiele eigentlich und warum verbietet die aserbaidschanische Regierung den Menschenrechtsaktivisten von amnesty international gerade zu dieser Zeit die Einreise? Betrachtet man das immerhin größte europäische Sportereignis des Jahres genauer, so tritt ein menschenrechtliches Dilemma zu Tage.

Was sind Europaspiele?

In diesem Jahr wird erstmalig eine solche Sportveranstaltung vom Europäischen Olympischen Komitee organisiert. In Amerika oder Asien haben Kontinentalspiele schon seit Jahrzehnten ihren festen Platz im Sportkalender. Nun hat das Europäische Olympische Komitee nachgezogen, auch weil mit der zunehmenden Globalisierung die „echten“ Olympischen Spiele immer seltener an den alten Kontinent vergeben werden. Die europäischen Medien sind offensichtlich darüber verunsichert, was sie mit diesen Europaspielen eigentlich anfangen sollen. Das liegt wohl auch an der Lage des Austragungsorts. Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, liegt am äußersten Rand Europas, eigentlich schon in Vorderasien. Sportpolitisch wird Aserbaidschan jedoch den europäischen Olympia-Verbänden zugerechnet. Aber auch die Sportler wundern sich über diese Premiere in ihrem Wettkampfkalender. Schon das Programm der Sportarten wurde etwas kurios zusammengewürfelt, werden doch neben den klassischen olympischen Disziplinen Leichtathletik, Schwimmen und Turnen auch Beachsoccer- und BMX-Wettbewerbe ausgetragen. Dass das eigentlich aus dem olympischen Programm entfernte Ringen in Baku sein Revival erlebt, dürfte wohl daran liegen, dass es sich hierbei um den Nationalsport des Gastgeberlandes handelt. Inmitten von Weltmeisterschaften und nur ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro haben die Medaillen von Baku sportlich gesehen kaum Bedeutung. Es handelt sich mehr um ein überdimensionales Qualifikationsturnier, in dem sich die Sportler ihren Startplatz für Rio sichern können. Auch die Kurzfristigkeit des Zustandekommens gibt Rätsel auf, denn in den letzten Jahren wurde die gesamte Veranstaltung mehr oder weniger aus dem Boden gestampft. Erst 2007 wurde die Idee vom Europäischen Olympischen Komitee abgesegnet, 2011 die Spiele dann angekündigt und nach Aserbaidschan vergeben. Dass die Vergabe und Organisation so reibungslos verlief, lässt in Zeiten von Korruptionsskandalen und misslungenen Bauvorhaben aufhorchen. Darum gleich zur nächsten Frage.

Warum also in Baku?

Die Frage könnte man in Windeseile beantworten, und so wäre es den meisten IOC-Funktionären sicher auch am liebsten: Baku war nun einmal die einzige Bewerberstadt. Aber ist es dann auch zwingend notwendig, dem einzigen Bewerber die Spiele zu übergeben? Nicht alle Stimmberechtigten dachten so, immerhin gab es bei der Wahl auch acht Gegenstimmen. Deutschland war nicht darunter. Eines ist aber klar: Das Europäische Olympische Komitee brauchte relativ kurzfristig einen zahlungskräftigen Veranstalter, der weder Kosten noch Mühen scheut, um dieses Sportfest aus der Taufe zu heben. Und der Präsident Aserbaidschans, Ilham Aliyev, ist seit Jahren ganz scharf darauf, große Events in sein Land zu holen: Egal ob den Eurovision Song Contest, die Boxweltmeisterschaften oder im nächsten Jahr die Schacholympiade. Auch für die Olympischen Sommerspiele 2020 bewarb sich das Land, allerdings vergeblich. Demnach war die unkomplizierte Vergabe der Europaspiele nach Aserbaidschan für beide Seiten eine Win-Win-Situation. Seitdem lässt die Staatsregierung an ihrem finanziellen Engagement keinen Zweifel. So werden sämtliche Anreise- und Unterbringungskosten der Athleten und Funktionäre übernommen, noch dazu kostete allein die pompöse Eröffnungsfeier 85 Millionen Euro. Die Gesamtkosten gehen dem Vernehmen nach in die Milliarden. Erinnert man sich an die sportliche Attraktivität der Wettbewerbe, sind diese Summen schwindelerregend. Doch Machthaber Aliyev geizt nicht, wenn es darum geht, das Image des Landes und seines Regimes aufzupolieren

Wieso wurde amnesty international die Einreise verboten?

Klar ist: Mit Demokratie hat Ilham Aliyev wenig am Hut, er regiert das Land autoritär. Das zeigt sich auch in den fortwährenden Menschenrechtsverletzungen im Land. Im Vorfeld der Europaspiele hatte amnesty international die Menschenrechtslage in Aserbaidschan scharf kritisiert. In ihrem Bericht „Azerbaijan: The Repression Games“ werden 20 Aktivisten vorgestellt, die kurz vor den Spielen aus vorgeschobenen Gründen inhaftiert wurden. Schon seit langem möchte die Regierung kritische Stimmen mundtot machen und verstößt systematisch gegen die Vereinigungs-, Versammlungs-, und Meinungsfreiheit. Da ist es nur folgerichtig, dass die Regierung den Menschenrechtsaktivisten von amnesty international die Einreise verweigerte. Dass unabhängige Organisationen und Medien in dem Land nicht willkommen sind, bekam auch der Ableger des Radiosenders Radio Free Europe zu spüren, der seine Arbeit in Aserbaidschan einstellen musste. Auch Emin Milli, unter anderem für die Friedrich-Ebert-Stiftung tätig, musste sein Land verlassen. Mittlerweile versucht er von Berlin aus, mit dem Online-Sender Meydan TV gegen die aserbaidschanische Regierung zu protestieren. Seit Jahren ist Aserbaidschan eines der Schlusslichter in der Liste der Pressefreiheit, die von „Reportern ohne Grenzen“ herausgegeben wird. Gegenwärtig belegt das Land Platz 162 von 174. Damit ist Aserbaidschan von allen Mitgliedsländern des Europäischen Olympischen Komitees am schlechtesten platziert. Sollten die Europaspiele wirklich an dieses Land vergeben werden? Bereits 2014 veröffentlichten die bekannte aserbaidschanische Menschenrechtsaktivistin Leyla Yunus und der Journalist Rasul Jafarov einen Bericht, in dem 98 politische Gefangene dokumentiert sind. Im selben Jahr wurden beide verhaftet. Die „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnen aufgrund solcher Vorfälle den aserbaidschanischen Präsidenten sowie den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes des Landes, Vasif Talibov, als Feinde der Pressefreiheit. Aber auch Korruption und Vetternwirtschaft blühen an der Küste des kaspischen Meeres. Das „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ ernannte Ilham Aliyev zum korruptesten Mann des Jahres 2012. In einer kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie einem Antrag der Regierungsfraktionen im Bundestag wurde kritisiert, dass in Aserbaidschan Menschenrechte, im Besonderen die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt werden. Zudem wurde die deutsche Regierung seitens der Parlamentarier dazu aufgefordert, sich anlässlich der sportlichen Wettkämpfe für die Einhaltung der Menschenrechte, vor allem für die Freilassung und eine menschenwürdige Behandlung von politischen Gefangenen einzusetzen. Aber möchten sich nicht auch die olympischen Verbände für Menschenrechte engagieren? Es lohnt sich hierbei, einen Blick auf die Grundsätze und Prinzipien des Olympischen Komitees zu werfen.

Sind diese Menschenrechtsprobleme mit den olympischen Werten vereinbar?

Die Olympische Charta ist sozusagen die Verfassung des Olympischen Komitees. Somit handelt auch der europäische Kontinentalverband nach deren Richtlinien und Prinzipien. Oder besser gesagt: Er sollte danach handeln. Schon an zweiter Stelle der grundlegenden Prinzipien des Olympismus steht:
„Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung des Menschen zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.“ Ist eine Gesellschaft friedlich, wenn ihre Bürger Angst darum haben müssen, wegen einer kritischen Meinung in Haft zu gelangen? Wird die Menschenwürde gewahrt, wenn Aktivisten aus vorgeschobenen Gründen in Gefangenschaft geraten? Des Weiteren besagt das fünfte Prinzip des Olympismus: „Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“ Ist es demnach mit der Olympischen Bewegung vereinbar, wenn unabhängig Denkende mundtot gemacht werden oder Menschenrechtsaktivisten erst gar nicht ins Land reisen dürfen? Liegt hier keine Diskriminierung vor? Zudem ist in der Charta zu lesen, dass die Olympische Bewegung „auf der Achtung universell gültiger fundamentaler ethischer Prinzipien“ beruht. Die systematische Einschränkung von Freiheitsrechten und Diskriminierung von Andersdenkenden durch die aserbaidschanische Regierung ist zweifelsohne mit der Olympischen Bewegung nicht vereinbar. Wieso sollte man die Europaspiele in so ein Land vergeben? Der IOC sieht seine Aufgabe auch darin, „für eine positive bleibende Wirkung der Olympischen Spiele in den Gastgeberstädten und Gastgeberländern zu sorgen“. Gewissermaßen ist dieser Satz die perfekte Ausrede für jeden Sportfunktionär. Mit ihm kann man die Illusion verbinden, dass die Europa Spiele in Baku die Menschenrechtssituation in dem Land verbessern können. Doch wird tatsächlich eine „positiv bleibende Wirkung“ eintreten? Es gibt Anlass zur Sorge, dass am Ende nur ein Aserbaidschaner einen Nutzen aus dieser Veranstaltung ziehen wird: Ilham Aliyev.

Werden die Europaspiele von der aserbaidschanischen Regierung missbraucht?

Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga stellte in seinem berühmten Werk „homo ludens“ fest, dass ein Spiel seinen Zweck in sich selbst tragen müsse. Ist dies bei den Europaspielen in Baku noch gegeben? Zwischen der bloßen Werbung für das Gastgeberland und dem bewussten Missbrauch von Sportereignissen zu politisch-ideologischen Zwecken liegt nur ein schmaler Grat. Natürlich macht jedes Austragungsland bei Olympischen Spielen Werbung in eigener Sache. Doch vor allem nichtdemokratische Staaten möchten sich in fälschlich-positivem Licht darstellen. Dabei werden Menschenrechtsprobleme überstrahlt. Die Repressionswelle gegen aserbaidschanische Regierungskritiker unmittelbar vor den Europaspielen ist hierfür ein Beispiel. Das Europäische Olympische Komitee gibt sich zu solchen Themen gewohnt wortkarg und lässt diesbezüglich jeglichen Einsatz für Menschenrechte vermissen. Somit dienen die Europaspiele keineswegs nur einem spielerischen Selbstzweck, sie werden von der aserbaidschanischen Regierung zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Demnach haben Berlin und Baku trotz mehr als 3000 Kilometern Entfernung eines gemeinsam: Sie sind Sinnbilder der politischen Instrumentalisierung von Sportereignissen. Auch die olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin wurden von den Nationalsozialisten unter anderem mit dem „Olympia“-Film von Leni Riefenstahl zu propagandistischen Zwecken missbraucht. In den letzten Jahren konnte man ein Wiederaufleben dieser Praxis feststellen, hierbei sind vor allem die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking und die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi zu nennen. Auch in Zukunft wird die Kooperation des Olympischen Komitees mit nichtdemokratischen Staaten für Gesprächsstoff sorgen. Im August werden nämlich die Olympischen Winterspiele 2022 vergeben. Immerhin gibt es für diese Veranstaltung nicht nur einen, sondern zumindest zwei Bewerber: Kasachstan und China. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist dies keine gute Wahl. Da ist nur zu hoffen, dass sich das Olympische Komitee in Zukunft für die Einhaltung seiner Prinzipien in wesentlich größerem Umfang engagieren wird, um tatsächlich „gegen jede Form der Diskriminierung vorzugehen, die die Olympische Bewegung beeinträchtigt“ (ebenso nachzulesen in der Olympischen Charta). Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Hier sind einige Internet-Links zum Weiterlesen:

Der Bericht von amnesty international „Azerbaijan – The Repression Games“:
http://www.amnesty.be/doc/IMG/pdf/the_repression_games_-_the_voices_you_won_t_hear_at_the_european_games.pdf

Die Rangliste der Pressefreiheit 2015 von „Reporter ohne Grenzen“:
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Presse/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2015/Rangliste_der_Pressefreiheit_2015.pdf

Der Bericht von u.a. Leyla Yunus:
http://www.nhc.no/filestore/Dokumenter/Land/Azerbaijan/THELISTENGLISHFINAL.pdf

Die Olympische Charta:
http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/downloads/Olympische_Charta_7.07.07_DE.pdf

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