Problematische Umsetzung der Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern

22. April 2024 | Von | Kategorie: Aktuelles, Soziale Menschenrechte

aufgenommen am 22.04.2024

Analyse, Kritik und Empfehlungen zur Ausgestaltung

von Felix Krauß und Katharina Grillmeyer – der vollständige Artikel steht auch hier als PDF-Download bereit.

Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete

„Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern
vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 14

Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen und ihren Lebensunterhalt nach ihrer Ankunft nicht selbst sichern können, haben einen rechtlichen Anspruch auf Sozialhilfe, so steht es im Asylbewerberleistungsgesetz. Wie dieses Geld künftig ausgezahlt werden soll, stand zur Debatte. Im November 2023 haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, mindestens einen Teil der Sozialhilfe fortan bundesweit auf einer Bezahlkarte zur Verfügung zu stellen. Dies wurde im April 2024 auch im AsylbLG entsprechend festgehalten.[1] Asylsuchende werden 36 Monate lang nach ihrer Ankunft finanziell durch die Sozialhilfe unterstützt[2] und sind so auch von der Einführung der Bezahlkarte betroffen. Ausgenommen sind Geflüchtete mit anerkanntem Schutzstatus, Flüchtende aus der Ukraine und Geduldete (nach 36 monatigem Aufenthalt), da diese Personengruppen Bürgergeld erhalten.[3] Lebt ein:e Geflüchtete:r in einer Gemeinschaftsunterkunft, wird die Höhe der finanziellen Unterstützung je nach Bedarfsstufe eingeteilt. Eine alleinstehende Person im Asylantragsprozess erhält beispielsweise 460 Euro für den notwendigen und persönlichen Bedarf.[4] Dieser Betrag wurde Großteils bar an die Empfänger:innen ausgegeben. Ab Sommer 2024 soll das Geld auf einer bundesweit gültigen Bezahlkarte ohne Kontobindung monatlich gutgeschrieben werden. Regionale Einschränkungen sind den einzelnen Ländern überlassen. Mögliche Auflagen sind beispielsweise, einen bestimmten Betrag „Taschengeld“ zu bestimmen, der monatlich in bar von der Karte abgebucht werden kann. Auch der Ausschluss von gewissen Branchen, wie die Glücksspielbranche, wird diskutiert. Während sich 14 der 16 Bundesländer Ende Januar 2024 auf gemeinsame Standards zur Bezahlkarte geeinigt hatten, planten Bayern und Mecklenburg-Vorpommern die Einführung einer gesonderten Bezahlkarte mit eigenen Kriterien und Voraussetzungen. Auch auf der Ministerpräsident:innenkonferenz mit Bundeskanzler Scholz am 06.03.2024 wurde hierzu kein gemeinsamer Beschluss gefasst. Es wurde jedoch protokollarisch festgehalten, dass die Bezahlkarte deutschlandweit eingeführt werden soll. Besonders Bayern ist bereits in der Pilotphase der Einführung und zeichnet sich durch eine besonders restriktive Ausgestaltung der Karte aus. Aus diesem Grund soll die bisherige Ausgestaltung Bayerns kritisch reflektiert werden, um menschenrechtliche Herausforderungen und Folgeabschätzungen für die Betroffenen zu identifizieren. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen für die bayernweiten und auch für die bundesweiten Regelungen zur Bezahlkarte und ihre Umsetzung ausgesprochen.

 

Einführung der Bezahlkarte in Bayern

Während die Bundesausschreibung zur Vergabe noch läuft, hat Bayern seinen Sonderweg verfestigt und bereits für Bayern die Ausschreibung abgeschlossen. Den Zuschlag hat das Unternehmen ‚PayCenter‘ mit Sitz in Freising und Stuttgart erhalten.

Nun wird die Bezahlkarte seit März in vier ausgewählten Kommunen in Bayern getestet. Zu den Pilot-Kommunen zählen die Landkreise Fürstenfeldbruck, Traunstein, Günzburg und die kreisfreie Stadt Straubing. Nach einer mehrwöchigen Testphase soll die Bezahlkarte sodann in allen Kommunen in Bayern im zweiten Quartal (also bis spätestens Juni 2024) eingeführt werden.

Die Bezahlkarte soll für all diejenigen gelten, die in Bayern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten; dies betrifft bayernweit die ungefähr 70.000 Asylbewerber:innen ab 14 Jahren.[5] Für Nürnberg bedeutet das beispielsweise, dass hier über 2700 Menschen von der Umstellung auf die Bezahlkarte betroffen sein werden.[6]

 

Funktionsweise der Bezahlkarte in Bayern

Die Bezahlkarte und deren Umsetzung wird durch das deutsche E-Geldinstitut ‚PayCenter‘ verantwortet. Das in Freising, Oberbayern, ansässige Unternehmen ist seit 2012 im Prepaid-Karten-Geschäft tätig und bietet in Zusammenarbeit mit MasterCard Geldkarten ohne SCHUFA oder Bonitätsprüfung an, die nach dem Prinzip einer vorher erfolgten Guthabenaufladung funktionieren.

Auf deren Website bewirbt das E-Geld-Institut detailliert, was die Bezahlkarte auf Guthabenbasis für Asylbewerber:innen alles kann.[7] Jede Karte kann individuell eingestellt werden und nach Bedarf können die Bezahlungen auf einzelne Händler beschränkt werden und einzelne Branchen sind auch komplett ausschließbar. Mit dieser Karte ist es auch möglich, dass die zuständigen Behörden jederzeit den Guthabenstand einsehen und die Karte sperren können. Außerdem können Online-Zahlungen begrenzt und Bargeldabhebungen können in Höhe und Anzahl eingeschränkt werden. Die Karte kann zudem auf bestimmte Postleitzahlgebiete eingeschränkt werden.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass dies zunächst erst einmal die Möglichkeiten sind, die sich aus einer solchen Bezahlkarte von PayCenter ergeben. Die eingeführte Bezahlkarte in Bayern kann mit diesen Möglichkeiten bzw. Einschränkungen einhergehen, muss es aber nicht. Die genaue Ausgestaltung in Bayern obliegt alleine der Bay. Staatsregierung, die auf die obigen technischen Möglichkeiten zurückgreifen kann. Es stellt sich somit die Frage, wie die Bezahlkarte in Bayern tatsächlich ausgestaltet wurde – zumindest zunächst im Rahmen der nun laufenden Testphase, wobei aufgrund der politischen Verlautbarungen davon auszugehen ist, dass sich nur noch – wenn überhaupt – kleinere Anpassungen ergeben werden. So sprach Innenstaatssekretär Kirchner im Hinblick auf Anpassungen aufgrund der Testphase lediglich von möglichen “Kinderkrankheiten” und “Wehwehchen” und unterstrich, dass bereits jetzt schon am bayernweiten „Rollout“ gearbeitet wird.[8]

So ist die Bezahlkarte in Bayern lt. Pressekonferenz vom 20.03.2024 und des Factsheets des Bay. Innenministeriums[9] wie folgt ausgestaltet:

  • Bargeldabhebung ist pro Monat auf 50 Euro pro Asylbewerber:in beschränkt.
  • Die Bezahlkarte gilt zunächst nur in den Geschäften des Postleitzahlengebiets der Pilotkommunen (Landratsämter bzw. kreisfreie Städte können dies sodann individuell anpassen); zukünftig sollen Asylbewerber:innen, die ihren Landkreis wegen der Residenzpflicht nicht verlassen dürfen, mit der Karte auch nur in diesem Landkreis bezahlen dürfen.
  • Es ist kein Onlineshopping möglich, Überweisungen ins Ausland oder an Dritte sind untersagt; für einzelne ausgewählte Angebote können die zuständigen Behörden (Landratsämter bzw. kreisfreie Städte) eine Online-Zahlung erlauben (z.B. für das 49-Euro-Ticket oder für Anwaltskosten) – hierfür wird eine sogenannte Whitelist (Liste der erlaubten Zahlungsempfänger:innen) eingerichtet an die Zahlungen möglich sein sollen
  • Die Branche des Glücksspiels sowie Geldübermittlungsdienste (z.B. Western Union und MoneyGram) sind generell ausgeschlossen.
  • Das Guthaben bleibt bis zur Zahlung bei der leistungsauszahlenden Behörde (also bei den Landratsämtern bzw. kreisfreien Städten).
  • Die Bezahlkarte ist optisch ausgestaltet wie eine übliche Geldkarte, wobei sich in der rechten Ecke gut sichtbar ein Symbol mit dem Hinweis „Bezahl Karte“ befindet.

 

Zielsetzung der Bezahlkarte in Bayern

Das erklärte Ziel ist es, die Anreize für Menschen zu minimieren, in Deutschland Asyl zu beantragen. So heißt es hierzu von Seiten des Innenministeriums: „Mit der Bezahlkarte senken wir Zuzugsanreize und bekämpfen Schlepperkriminalität.“[10]

Auch im Dringlichkeitsantrag der staatstragenden Fraktionen im Bay. Landtag heißt es hierzu von Vertreter:innen der CSU und der FW: „Mit der Bezahlkarte werden insbesondere finanzielle Transaktionen in die Herkunftsländer der Asylbewerberinnen und -bewerber verhindert und somit effektiv Pull-Faktoren für illegale Migration gesenkt.“[11] Und Bay. Innenminister Herrmann hob in der dazugehörigen Plenarsitzung hervor: „Ja, es geht darum, dass wir irreguläre Migration eindämmen. […] Dass wir aber vor allen Dingen diese de facto Querfinanzierung von illegalen Schleuserbanden international entsprechend eindämmen“.[12]

Die Einführung soll hierbei auch eine zweiseitige kommunikative Signalwirkung entfalten. Zum einen an die eigene Bevölkerung, dass die Politik Probleme löse und bei Sozialleistungen für Asylbewerber:innen genau hinschaue. Zum anderen an Menschen außerhalb Deutschlands, dass ein Zuzug unattraktiv und mit Einschränkungen versehen wäre.[13] Mediale Äußerungen von Vertreter:innen der Bay. Staatsregierung lassen erkennen, dass mit der Bezahlkarte in Bayern eine besonders rigide Asylpolitik umgesetzt werden soll. So verlautbarte auch Bay. Ministerpräsident Söder, dass die Bezahlkarte „schneller und konsequenter“ sowie „härter“ komme, als in anderen Bundesländern und, dass Bayern mit der Bezahlkarte einen „harten und schnellen Kurs“ fahre.[14] Zudem resümierte der Bay. Ministerpräsident, dass Asylbewerber:innen Bargeld gar nicht bräuchten und deswegen 50 Euro mehr als ausreichen.[15]

Auch wenn der öffentliche Diskurs in Bayern von Befürworter:innen der Bezahlkarte besonders restriktiv geführt wird, ist auch das bundesweite Bestreben, die Bezahlkarte einzuführen, auf diese Grundargumente zurückzuführen. Zwar verspricht man sich mit der Einführung auch eine Entlastung der Behörden und des Verwaltungsaufwandes, dennoch ist der Hauptgrund – ähnlich wie in Bayern – die Unterbindung von Überweisungen in die Heimatländer der Geflüchteten. Der Personenkreis, der die Einführung der Karte vor allem unterstützt, will verhindern, dass Sozialhilfeempfänger:innen einen Teil ihres Zuschusses an ihre Familien im Herkunftsland senden. Das Geld solle „für das Leben der Geflüchteten hier“ verwendet werden.[16]

 

Kritik an der bayerischen Umsetzung der Bezahlkarte in Bayern

1. Zweifelhafte Zielsetzung

Zunächst müssen die erklärten Ziele kritisch reflektiert werden. Wie hier herausgearbeitet geht es bei der Einführung der Bezahlkarte in Bayern nicht um eine bessere Integration der Betroffenen oder einen besseren Zugang zu Leistungen, sondern um das Gegenteil: Abschreckung und Einschränkungen. Bereits diese Motive lassen befürchten, dass die Bezahlkarte in Bayern de facto zu einem Abbau der Rechte von Geflüchteten führt und mit erheblichen menschenrechtlichen Bedenken einhergeht. So ist das erklärte Ziel, dass die Bezahlkarte in Bayern mit erheblichen Einschränkungen für die Betroffenen einhergeht, um migrationspolitisch gegenzusteuern und Signale der Härte und der Abschreckung zu senden. Gerade dies ist jedoch verfassungsrechtlich höchst problematisch. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 heißt es ausdrücklich: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. […] Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“[17] Ein Umstand, der vom Bundesverfassungsgericht erst 2022 abermals festgehalten wurde.[18]

Demzufolge darf die Bezahlkarte in Bayern sowie bundesweit nicht aufgrund migrationspolitischer Erwägungen eingeführt werden und zu keiner Absenkung der tatsächlichen Leistungen führen, wenn nicht gegen das Grundgesetz und die bindende Rechtsprechung verstoßen werden soll. Es ist wichtig zu betonen, dass es hier nicht darum gehen darf, welche Leistungen eine Person mit der Bezahlkarte theoretisch nutzen könnte, sondern welche Leistungen sie im Alltag faktisch nutzen kann. Mit anderen Worten: Es hilft der Person nicht weiter, wenn in ihrer Bezahlkarte eine hohe Geldsumme hinterlegt ist, während sie diese im Alltag aufgrund von eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten nicht abrufen kann.

Darüber hinaus muss auch kritisch evaluiert werden, ob die angeführten Argumente der Befürwortenden der bayerischen Bezahlkarte überhaupt fundiert bzw. zutreffend sind. Die von den Verantwortlichen erhoffte Abschreckung ist eine Behauptung, die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand hält. So wird behauptet, dass ein „Pull-Effekt“, warum Asylsuchende nach Deutschland kommen, die finanzielle Unterstützung im Land sei. Durch die Verbreitung der Bezahlkarte soll nun dieser „Pull-Effekt“ geschwächt werden, um so auf lange Sicht die Anzahl der Asylanträge zu verringern. Die Annahme dieses „Pull-Effekts“ ist jedoch seit Jahren wissenschaftlich widerlegt. Vielmehr seien Gründe wie ein stabiles Umfeld, eigene berufliche Chancen sowie ein persönliches Netzwerk vorrangige Faktoren, die eine Flucht nach Deutschland entscheiden, so Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Auch Sozialwissenschaftler Markus Engler vom Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung betont, dass es keinen nachweisbaren Effekte gibt und “keine belastbare Evidenz [vorliegt], […] dass die Höhe der Sozialleistungen einen signifikanten Einfluss darauf hat […] nach Deutschland zu fliehen.“[19] Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wies zudem bereits 2013 in einer Studie darauf hin, dass erwartete Sozialleistungen nicht zu den so genannten „Pull-Faktoren“ gehören,[20] wie fälschlicherweise oftmals angenommen wird, z.B. vom Bayerischen Innenministerium in dem Infobrief an Ehrenamtliche vom 28.11.2023.[21]

Inwieweit Asylbewerber:innen etwaige ihnen zustehenden Finanzmittel ins Ausland transferieren, ist nämlich tatsächlich schlichtweg nicht bekannt. So musste auch die Bay. Staatsregierung einräumen, dass ihnen hierzu keine Zahlen vorliegen.[22] Ein Umstand, der bedauerlicherweise auch in der öffentlichen Berichterstattung nur bedingt Beachtung findet. Ungeachtet der nachgewiesenen, bestehenden Wissenslücke geht die Bay. Staatsregierung jedoch weiterhin davon aus, dass Finanztransfers in „nicht unwesentlicher Höhe von Asylbewerbern“ durchgeführt werden und es sich „also in jedem Fall um sehr relevante Beträge“ handele.[23]

Auch der Vorwurf der Finanzierung von Schleuserbanden hält nur bedingt einer kritischen Überprüfung stand. Selbst unter der Annahme, dass ein:e Asylbewerber:in nach Deutschland gekommen ist, indem ein:e Schleuser:in beauftragt wurde, ist es allgemein bekannt, dass bei diesen Vereinbarungen im Vorfeld bezahlt werden muss und nicht erst im Nachhinein. Hinzu kommt, dass mit dem Vorwurf der Querfinanzierung von Schleuserbanden allen Asylbewerber:innen kriminelle Energie unterstellt wird, da damit suggeriert wird, dass die überwiegende Mehrheit der Asylbewerber:innen die ihnen zustehenden Finanzmittel an Kriminelle weitergeben. Darüber hinaus bleibt es auch höchst fraglich, inwiefern überhaupt Finanzmittel in nennenswerten Beträgen ins Ausland transferiert werden können, wenn Asylbewerber:innen lediglich staatliche Mittel erhalten, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Anders gesagt: Die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind nicht so üppig, dass wirklich große Beträge von Einzelnen ins Ausland überwiesen werden könnten. Der absolute Höchstsatz für ein:e Asylbewerber:in beläuft sich auf insgesamt 460 € pro Monat zur Deckung des Bedarfs an Essen und Trinken, Unterkunft, Heizung, Kleidung und Schuhe, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts sowie Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (Stand: April 2024).[24] Zudem gilt, dass das eigene Einkommen und Vermögen von den Leistungsberechtigten und ihren Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, erst aufzubrauchen ist, ehe staatliche Leistungen bezogen werden dürfen.[25] In Anbetracht dessen erscheint es höchst fraglich, inwiefern die Betroffenen überhaupt in der Lage sein sollen „sehr relevante Beträge“ ins Ausland zu überweisen.

Zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass es in der Tat auch sehr legitime Gründe gibt, warum eine im Asylanerkennungsprozess befindliche Person Rücküberweisungen tätigen könnte, die fern des Vorwurfs der Schlepperfinanzierung liegen. Grundsätzlich steht es der Person selbst zu, in welcher Art und Weise sie das ihr zur Verfügung gestellte Geld verwendet. So könnte eine solche Person in Deutschland bewusst und eigenverantwortlich auf eigentlich notwendige Ausgaben verzichtet (z.B. Verzicht auf den Kauf von neuen Schuhen, obwohl die alten Schuhe löchrig sind), um das Geld an die eigene Familie im Herkunftsstaat zu überweisen, um dringend notwendige Ausgaben vor Ort bezahlen zu können (z.B. Kauf von Schulbüchern für die Kinder oder Medikamente für die Großeltern). Es ist nicht begreiflich, warum solche persönlichen Entscheidungen, die in der Praxis durchaus vorkommen,[26] verwerflich oder gar kriminell sein sollen, vielmehr erscheinen sie menschlich und nachvollziehbar. Mit der bayerischen Bezahlkarte werden jedoch auch solche Überweisungen grundsätzlich unterbunden.

 

2. Erhöhung des Diskriminierungsrisikos

Neben den menschenrechtskritischen Motiven und Zielsetzungen der Bezahlkarte in Bayern ist auch dessen Funktionsweise kritisch zu betrachten. Mit der Einführung drohen massive Einschränkungen im Alltag der Betroffenen, die das  Diskriminierungsrisiko erhöhen. Zudem ergeben sich zahlreiche Alltagssituationen, in denen die Bezahlkarte nach bayerischer Art höchst problematisch erscheint. Im Folgenden einige Beispiele und praxisorientierte Fallschilderungen von Flüchtlingsorganisationen[27] und Betroffenen, die die Tragweite der problematischen Funktionen der Bezahlkarte in Bayern erkennen lassen:

  • Problematische Auswirkungen der örtlichen Begrenzung der Bezahlkarte in Bayern
    • Die bayerische Bezahlkarte mit örtlicher Begrenzung stellt eine unzulässige Einschränkung der Bewegungsfreiheit für die betroffenen Personen dar. Selbst wenn behördliche Vorschriften vorhanden sind (in Bayern gilt bei Asylbewerber:innen i.d.R. die Residenzpflicht), gibt es für die Betroffenen legitime Gründe, auch außerhalb des erlaubten Radius‘ zu reisen, wie z.B. Besuche beim Rechtsanwalt, bei Beratungsstellen, bei anderen Behörden oder Fachärzten. Die Sozialbehörden in Bayern müssten nach der derzeitigen Ausgestaltung der Bezahlkarte für solche Reisen jedes Mal die Kartengültigkeit individuell und kurzfristig erlauben. Dies führt zu einer erheblichen Belastung für alle Beteiligten, insbesondere aber für die betroffene Person. Ein Betroffener berichtet beispielsweise, dass er nach München gefahren ist, um dort etwas zu kaufen, nur um feststellen zu müssen, dass seine Bezahlkarte dort nicht funktioniert, weswegen er ohne eine Einkaufsmöglichkeit wieder zurückfahren musste.[28]
    • Asylbewerber:innen in Bayern können zum Teil nicht in dem Supermarkt oder Drogeriemarkt in unmittelbarer Nähe ihrer Unterkunft einkaufen, da sich diese Einkaufsmöglichkeiten in einem anderen Verwaltungsbezirk befinden und für dort die eigene Bezahlkarte nicht freigeschalten ist. Vor allem für mobilitätseingeschränkten Menschen (z.B. Schwangere, junge Eltern, Ältere, Menschen mit Behinderungen) ist dies höchst problematisch, aber natürlich auch für alle anderen Betroffenen bedeutet das eine spürbare Einschränkung in ihrem Alltag.
  • Problematische Auswirkungen der Bargeldeinschränkungen in Bayern auf 50 Euro im Monat
    • Bargeldvoraussetzende Situationen sind in Bayern – trotz einer zunehmenden Akzeptanz von Geldkarten als Zahlungsmittel – weiterhin allgegenwärtig. Noch immer ist Bargeld das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel.[29] Wer in Bayern ohne Bargeld lebt oder nur in bestimmten Geschäften einkaufen kann (weil dort Geldkarten angenommen werden), kann unangenehme und menschenunwürdige Situationen erleben, z.B. bei öffentlichen Toiletten mit Bargeldzugangsbeschränkungen oder bei Bargeldeinsammlungen für die Klassenkasse oder Schulaktivitäten. Ebenso bei Gemeinde- oder Stadtfesten, Kirchweihen, Schulcafeterien, Schulveranstaltungen, kleinen Imbissen oder auch beim Fahrkartenkauf in vielen ÖPNV-Bussen.
    • Bargeld ist auch im Second-Hand-Markt unabdingbares Zahlungsmittel. Es ist allgemein üblich – insbesondere auch bei Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln wie bei Asylbewerber:innen – notwendige Klamotten oder Alltagsgegenstände über Gebrauchtmarktplattformen wie Kleinanzeigen (ehemals eBay Kleinanzeigen) oder auf Flohmärkten zu erwerben. Insbesondere auch für die Ausstattung in der Schwangerschaft und nach der Geburt und für Kleidung und Spielsachen für Babys und Kinder ist der Gebrauchtmarkthandel weit verbreitet. Bei einer Einschränkung des zur Verfügung stehenden Bargelds auf lediglich 50 Euro pro Monat werden insbesondere junge Eltern und Familien in ihrer Alltagsbewältigung erheblich behindert. Diese sind im schlimmsten Fall sodann auf Sachspenden angewiesen, um sich entsprechend ausstatten zu können. Ein Umstand, der abermals zu erniedrigenden Erfahrungen führen kann.
  • Problematische Auswirkungen der Einschränkung der Überweisungen
    • Dadurch, dass von nun an Überweisungen für die Betroffenen nur sehr eingeschränkt möglich sind, kann dies mit folgenschweren Konsequenzen einhergehen. Ein Betroffener berichtet uns beispielsweise, dass er online zahlreiche Schulden angesammelt hat, da er nun nicht mehr via Überweisung zahlen kann.[30] Dies kann einen nachhaltigen negativen Effekt für die Betroffenen haben, da damit eine Zahlungsverpflichtung offen bleibt, die zur Überschuldung führen kann.
    • Eine Einschränkung der Überweisungsmöglichkeit kann auch dazu führen, dass Telefonrechnungen nicht mehr gezahlt werden können, da deren Bezahlung online erfolgt.[31] Neben einer drohenden Verschuldung können in der Folge Handyverträge vom Anbieter gekündigt werden, sodass den Betroffenen wesentliche Kommunikationskanäle fehlen, die ganz wesentlichen Einfluss auf den Antragsprozess haben können, geschweige denn der schädlichen Auswirkungen auf die Integration und soziale Teilhabe der Betroffenen.

All diese Beispiele machen nicht nur deutlich, wie schnell es aufgrund der Funktionen der Bezahlkarte in Bayern zu menschenunwürdigen Situationen kommen kann. Sie zeigen auch das enorme Diskriminierungsrisiko auf. So werden diese Menschen in ihrer Alltagsbewältigung eingeschränkt und es ist zu befürchten, dass aufgrund dessen Betroffene zum Teil von bestimmten Bereichen (z.B. Toiletten, Flohmärkten) und Aktivitäten (z.B.  Busfahrt, Essen in der Schulcafeteria) ausgeschlossen werden und somit Diskriminierung erfahren. Ein Betroffener berichtet zudem, dass es ihm Unbehagen bereitet, mit der Karte zu bezahlen, da die Menschen dann wissen, dass er ein Flüchtling ist und ihn dann spürbar anders behandeln.[32] Dies wäre vermeidbar, wenn auf der Geldkarte nicht sehr präsent „Bezahl Karte“ stehen würde, wie es bei der in Bayern eingeführten Karte der Fall ist.

 

3. Einschränkungen der Selbstbestimmtheit

Geschützt vor allem durch Art. 2 des Grundgesetzes („das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“) ist das allgemeine Prinzip der Selbstbestimmung ein eng mit den Menschenrechten verbundenes Konzept. Daraus lässt sich auch die Allgemeine Handlungsfreiheit ableiten, nach der jeder Mensch in der eigenen Handlung frei ist, solange sie nicht verboten oder die Rechte anderer verletzt. Dies steht im Einklang mit dem Recht auf Privatautonomie, das besagt, dass man selbstverantwortlich handeln und die eigenen Entscheidungen treffen darf. Alle Einschränkungen, die dieser Selbstbestimmung zuwiderlaufen, sind somit erklärungsbedürftig und müssen vermieden werden, wenn möglich.[33]

Nun stellt die Bezahlkarte in der Ausgestaltung Bayerns einen Eingriff in die Selbstbestimmtheit der Betroffenen dar und ist demzufolge durchaus erklärungsbedürftig. Wie bereits aufgezeigt, wirkt sich die Bezahlkarte mit der örtlichen Beschränkung auf die Bewegungsfreiheit für die Betroffenen aus. Mit der Bargeldbeschränkung greift die Bezahlkarte in die Alltagsbewältigung der Betroffenen ein und mit der Einschränkung von Online-Überweisungen beeinflusst die Bezahlkarte in die Privatautonomie und Handlungsfreiheit der Betroffenen. Um Redundanz zu vermeiden, wird an dieser Stelle für Beispiele auf die vorherigen und nachfolgenden Fallschilderungen verwiesen, die stets auch eng mit dem Grundsatz der Selbstbestimmtheit einhergehen. All diesen Einschränkungen stehen zudem die höchst zweifelhaften Ziele, Begründungen und migrationspolitischen Erwägungen zur Einführung der Bezahlkarte in Bayern gegenüber. Dies alles ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich, bzw. um es in den Worten eines Betroffenen auszudrücken: „Es ist sehr verstörend.“[34]

 

4. Datenschutzrechtliche Bedenken

Aufgrund zahlreicher Bedenken in Bezug auf den Datenschutz und die Privatsphäre für die Betroffenen und mangelhafter öffentlicher Informationslage haben wir einen Fragekatalog an das Bayerische Innenministerium (StMI) gestellt, der Anfang April vom zuständigen Sachgebiet[35] beantwortet wurde. Ein ähnlicher Fragekatalog an den Datenschutzbeauftragten der Staatsregierung blieb leider unbeantwortet. Aus den Antworten des StMI ergibt sich die folgende Ausgestaltung für die Bezahlkarte in Bayern:

  • Das Guthaben eines Leistungsberechtigten kann über verschiedene Plattformen eingesehen werden: Die leistungsberechtigte Person selbst kann dies über ein sogenanntes Leistungsempfänger-Frontend (entweder eine Webseite oder eine App) tun, während dies über das sogenannte Verwaltungs-Frontend (eine Webseite) zur Guthabensverwaltung für die Leistungsbehörde als verantwortlicher Stelle möglich ist. Ebenso kann die PayCenter GmbH als Auftragsverarbeiterin das Guthaben einsehen.
  • Die leistungsberechtigte Person hat über das Leistungsempfänger-Frontend oder seine App – ähnlich wie beim Online-Banking – die Möglichkeit, die eigenen Bezahlvorgänge einzusehen. Es besteht keine Möglichkeit für die Leistungsbehörde, einzelne Bezahlvorgänge einer Karte einzusehen, da dies technisch ausgeschlossen ist. Die Verarbeitung der Umsätze erfolgt durch die PayCenter GmbH in eigener datenschutzrechtlicher Verantwortlichkeit, insbesondere zu Transaktionszwecken.
  • Die Speicherung von Daten erfolgt gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) so lange und in dem Umfang, wie es für die Datenverarbeitung erforderlich ist. Die Daten werden von den Leistungsbehörden, der PayCenter GmbH sowie deren Unterauftragsverarbeiter:innen verarbeitet. Eine weitergehende Verwendung, einschließlich der Auswertung personenbezogener Daten durch Dritte erfolgt grundsätzlich nicht, es sei denn, es liegt eine separate Datenverarbeitungsbefugnis vor.
  • Versuchte und abgewiesene Zahlungsvorgänge außerhalb des zugewiesenen Postleitzahlgebiets werden in den Umsätzen vermerkt. Diese sind jedoch ausschließlich von der leistungsempfangenden Person einsehbar und werden von der PayCenter GmbH verarbeitet.
  • Grundsätzlich hat eine versuchte Zahlung außerhalb des zugelassenen räumlichen Gebiets keine weiteren Konsequenzen für die betroffene Person, außer dass die Zahlung nicht durchgeführt wird.
  • Aktuell besteht eine bayernweite Whitelist mit Empfänger:innen, die grundsätzlich von überregionaler Bedeutung sind, wie beispielsweise Anbieter des öffentlichen Nahverkehrs, Mobilfunkvertragsanbieter und Rechtsanwält:innen. Diese Liste wird von der PayCenter GmbH sowie dem StMI verwaltet. Zukünftig soll jede Leistungsbehörde die Möglichkeit haben, im Verwaltungs-Frontend eine eigene regionale Whitelist zu führen, die ausschließlich für die ihr zugeordneten Leistungsempfänger:innen gilt. Zugriff auf die Whitelist haben nach eigener Auskunft das StMI und die PayCenter GmbH gemäß dem Need-to-know-Prinzip. Leistungsbehörden übermitteln potenzielle Empfänger:innen an das StMI, „welches diese abgleicht und nach Prüfung ggf. aufnimmt.“ Die Aufnahme von Geldtransferdienstleistern ist grundsätzlich ausgeschlossen, da sie Überweisungen ins Ausland ermöglichen. Zusätzlich werden IBANs gesperrter Branchen, wie derzeit Glücksspiel, ausgeschlossen.
  • PayCenter und die leistungsauszahlende Behörde haben grundsätzlich die Möglichkeit, die Leistungen nach erfolgter Überweisung auf die Karte zurückzubuchen auf das Konto der entsprechenden Behörde. Dies ist auch ohne die explizite Anweisung der kartenbesitzenden Person möglich, „insbesondere im Falle des Verlustes der Bezahlkarte oder im Falle des Missbrauchs“, wie es das StMI schreibt.
  • Sofern eine örtliche Beschränkung der Gültigkeit der Bezahlkarte besteht, kann diese auf Antrag der leistungsempfangenden Person durch die zuständige Verwaltungskraft der Leistungsbehörde aufgehoben oder angepasst werden. Anfragen werden abgelehnt, wenn keine ausländer- oder aufenthaltsrechtliche Grundlage dafür besteht.

Das Innenministerium weist zudem darauf hin, dass eine Vielzahl von datenschutzrechtlichen Fragestellungen „umfassend geprüft“ wurden und eine Datenschutzfolgenabschätzung im Sinne des Art. 35 DSGVO durchgeführt wurde, „um Risiken zu identifizieren und diesen durch entsprechende technisch-organisatorische Maßnahmen entgegenzuwirken.“ Nach Einschätzung des Ministeriums bestehen „keine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen den Einsatz des Bezahlkartensystems“. In einer Antwort auf eine Landtagsanfrage hob das StMI zudem hervor, dass der Landesbeauftragte für Datenschutz „bereits im jetzigen Stadium [Januar 2024] beteiligt [wird]“ und, dass das Projekt auch „durch die zuständige datenschutzrechtliche Fachabteilung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration eng begleitet [wird]“.[36]

Obwohl es sehr begrüßenswert ist, dass hier offensichtlich ein Bewusstsein für die Sensibilität der Bezahlkarte vorhanden ist und auch zum Teil entsprechende Schritte unternommen wurden, bleiben dennoch weiterhin Bedenken. So bleibt es im Hinblick auf die Achtung der Privatsphäre bedenklich, dass eine Liste an Zahlungsempfänger:innen angelegt werden muss (sog. Whitelist), die den Behörden bekannt ist. So ist es ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre eines Betroffenen, wenn die betroffene Person bei der zuständigen Verwaltungskraft in der Behörde einen Antrag zur Aufnahme eines Empfängers in die Whitelist stellen muss, bei dem es sich beispielsweise um einen Facharzt für Urologie handelt. Besser wäre es, wenn dieser Antrag bei einer Person (ggf. auch anonym) gestellt werden kann, die nicht direkt für die Asylantragsstellende Person zuständig ist. Zudem bleibt offen, nach welchen Kriterien das StMI (für die überregionale Whitelist) und die Behörden vor Ort (für die regionale Whitelist) potenzielle Empfänger:innen prüft und aufnimmt. Diese Beispiele veranschaulichen, dass mit der Einführung der Bezahlkarte nach der Ausgestaltung Bayerns sehr wohl Bedenken für die Betroffenen im Hinblick auf deren Privatsphäre und Datenschutz einhergehen.

 

5. Erhöhung des Machtmissbrauchsrisikos

Mit der Bezahlkarte in Bayern wird ein Instrumentarium geschaffen, mit dem man die Lebenswirklichkeit der Betroffenen massiv beeinflussen kann. Neben vielleicht noch begründbaren Einschränkungen, die transparent nach Außen kommuniziert werden (z.B. keine Geldtransfers via Western Union und MoneyGram), ist jedoch zu befürchten, dass dieses Instrument von einzelnen Behörden oder Sachbearbeiter:innen auch missbräuchlich gegen einzelne Betroffene verwendet werden könnte. So könnte die Bezahlkarte rein technisch auch als Sanktionsmittel eingesetzt werden, wenn beispielsweise regionale Beschränkungen eingerichtet werden, bei denen sie vorher nicht oder nicht in dem Umfang aktiviert waren.

Zudem ist kritisch zu reflektieren, dass dieser Missbrauch auch durch behördliches Nicht-Handeln entstehen kann und somit eine niedrige Hemmschwelle für mögliche Täter:innen gegeben ist. Wenn beispielsweise die Gültigkeit einer Bezahlkarte individuell freigeschaltet werden muss (z.B. aufgrund eines kurzfristigen Rechtsanwaltstermins außerhalb des zugewiesenen Radius) wäre es für die zuständige Behörde oder die entsprechende Verwaltungskraft möglich, solche Anfragen mit vorsätzlicher, zeitlicher Verzögerung zu bearbeiten und somit den Termin für die betroffene Person zu torpedieren.

Auf Anfrage von uns, versichert das Innenministerium, dass entsprechende Anfragen „unverzüglich“ bearbeitet werden. Dennoch bleibt weiterhin offen, wie schnell Anträge zur Anpassung einer örtlichen Beschränkung der Gültigkeit der Bezahlkarte tatsächlich bearbeitet werden. Inwiefern eine Bearbeitung umgehend erfolgt, darf in der Praxis erfahrungsgemäß bezweifelt werden. So ist allgemein bekannt, dass viele Behörden bereits schon aus Personalengpässen überlastet sind und Anträge verschiedener Art mit zum Teil erheblichem zeitlichen Verzug erst bearbeitet werden. Auch bleibt offen, inwieweit betroffene Verwaltungskräfte zu einer umgehenden Bearbeitung angehalten sind bzw. disziplinarisch belangt werden könnten, wenn sie solche Anträge nicht sofort bearbeiten würden. Insofern darf in Frage gestellt werden, wie schnell Anträge zur Erweiterung der Gültigkeit der Bezahlkarte tatsächlich und in jedem Fall bearbeitet werden.

Darüber hinaus bleibt es besorgniserregend, dass die Behörden nun die Möglichkeit haben, auch ohne Wissen oder Genehmigung der kartenbesitzenden Person bereits gutgeschriebene Leistungen von der Bezahlkarte wieder zurückbuchen zu können. Da eine Behörde für sich entscheiden kann, dass hier missbräuchliches Verhalten der betroffenen Person vorliegt (ohne rechtskräftige Verurteilung o.Ä.), öffnet diese zumindest das Potential von (ggf. willkürlichen) Sanktionsmöglichkeit, aber auch von tiefgehenden, unverhältnismäßigen Eingriffen in die Lebenswirklichkeiten der Betroffenen.

Es versteht sich von selbst, dass sich der Einwand des Missbrauchsrisikos nicht pauschal gegen die zuständigen Behörden oder Verwaltungskräfte richtet. Es soll vielmehr daran erinnert werden, wie einzelne Akteure agieren könnten, wenn ihnen diese technischen Möglichkeiten fortan zur Verfügung stehen.

 

Empfehlungen für eine menschenrechtswürdige Ausgestaltung der Bezahlkarte

Anhand des Beispiels Bayerns, welches die Bezahlkarte besonders restriktiv eingeführt hat, kann man erkennen, welche problematischen Auswirkungen eine so ausgestaltete Bezahlkarte auf die Betroffenen haben kann. Dies ist aus Respekt den Betroffenen gegenüber und aus der Sicht der Menschenrechte unbedingt zu vermeiden. Hierbei ist jedoch auch zu beachten, dass grundsätzlich die Einführung einer Bezahlkarte nicht als solche negativ zu bewerten ist. Sofern diese Geldkarte entsprechend ausgestaltet ist, kann sie sogar die Integration und Teilhabe der Betroffenen erleichtern sowie verbessern und eine tatsächliche Entlastung für die Behörden mit sich bringen. Eine solche Ausgestaltung könnte folgende Aspekte umfassen, die sicherlich nicht abschließend sind:

  • Keine Sichtmöglichkeiten von Umsätzen durch die Behörden
  • Keine Konsequenzen für die Betroffenen bei abgelehnten Zahlungsversuchen
  • Keine optisch andere Geldkarte als die bereits etablierten Geldkarten
  • Kein Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen
  • Keine Einschränkungen von Überweisungen durch die Bezahlkarte
    • Sollten dennoch Einschränkungen politisch gewollt sein, wäre auch eine Negativliste anstatt der Whitelist als Ansatz möglich. Hier könnten problematische IBANs (z.B. kriminelle Vereinigungen oder vom Verfassungsschutz beobachtete Organisationen) hinterlegt sein.
  • Keinen uneingeschränkten Zugriff auf das Guthaben durch die Behörden
    • Behörden sollen nicht ohne Zustimmung des Betroffenen bereits gutgeschriebene Leistungen von der Bezahlkarte wieder zurückbuchen können, es sei denn es liegen rechtskräftige Missbrauchsfälle durch den Betroffenen vor.
  • Keine Beschränkung der Bargeldabhebungshöhe
    • Sollte dennoch eine Beschränkung politisch gewollt sein, wäre eine wesentlich höhere Bargeldgrenze als 50 Euro vonnöten, um die Alltagsbewältigung der Betroffenen nicht zu sehr einzuschränken.
  • Keine regionale Beschränkung der Gültigkeit der Bezahlkarte
    • Sollte dennoch eine Beschränkung politisch gewollt sein, sollte die regionale Beschränkung nicht als default-Einstellung ausgeliefert werden, sondern als Option für die leistungsauszahlende Behörde, dies im Einzelfall einzuschränken. Außerdem ist eine zu enge örtliche Einschränkung unbedingt zu vermeiden, sodass mehrere Gebiete im Umfeld des Betroffenen als berechtigt einzustufen sind. Genehmigungspflichtige Anträge von Betroffenen müssen von der zuständigen Behörde innerhalb weniger Stunden bearbeitet werden; sollte dies nicht erfolgen, wäre eine automatische Genehmigung zu erteilen, um nachteilige Umstände für die Betroffenen vorzubeugen. Bei Ablehnung des Antrags sollte die Asylbewerber:in die Möglichkeit haben, den Antrag noch an eine zweite Stelle zur Überprüfung vorlegen zu dürfen.

Mit diesen Kriterien ist die Einführung einer Bezahlkarte möglich, die wie eine Debitkarte ohne Einschränkung funktioniert. Eine solch ausgestaltete Karte könnte bei den Asylbewerber:innen gerade zu Beginn als vorübergehendes universelles digitales Zahlungsmittel genutzt werden, solange die Neuankömmlinge noch kein Bankkonto haben. Dieses Vorgehen wird derzeit von der Stadt Hannover angewandt und scheint allgemein positiv aufgenommen zu werden.[37] Auch andere Städte Deutschlands (z.B. Frankfurt[38]) machen deutlich, dass ein für alle Beteiligten pragmatischerer und würdigerer Umgang möglich sein muss.

 

Fazit zur Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete

Vor dem Hintergrund des oftmals rechtspopulistisch bestimmten Diskurses in der Öffentlichkeit bleibt es leider fraglich, inwieweit die Bezahlkarte in Bayern im Sinne der obigen Empfehlungen angepasst wird. Zudem bleibt es offen, inwiefern die Bezahlkarte in den anderen Bundesländern den obigen Empfehlungen entsprechend eingeführt wird. Mit Blick auf ein menschenwürdiges Leben für alle in diesem Land – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – wäre dies jedoch nicht nur wünschenswert, sondern vielmehr angebracht. Um die Problematik abschließend mit einem Appell eines Asylbewerbers in Bayern im Hinblick auf die Bezahlkarte auf den Punkt zu bringen: „Denkt an die Menschenrechte“.[39]

 

Quellenverzeichnis

[1] Deutscher Bundestag (10.04.2024), „Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz, zuletzt aufgerufen am 17.04.2024 unter https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-997582

[2] Informationsbund Asyl & Migration (26.02.2024), „Neuregelungen im Bereich Asyl- und Aufenthaltsrecht“, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://www.asyl.net/view/rueckfuehrungsverbesserungsgesetz-tritt-in-kraft

[3] Mit dem sog. Rückführungsverbesserungsgesetz wurde neu geregelt, dass der Übergang von der niedrigeren Sozialhilfe für Neuankömmlinge zum höher angesetztem Bürgergeld nun nicht mehr nach 18 Monaten, sondern erst nach 36 Monaten möglich ist. Flüchtlingsorganisationen sehen dies als eine weitere Verschlechterung der Lage für die Geflüchteten an.

[4] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (21.12.2023), „Neue Leistungssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bmas.de/DE/Soziales/Sozialhilfe/LeistungenAsylbewerberleistungsgesetz/leistungssaetze-asylbewerberleistungsgesetz.html

[5] Bay. LT-Drucksache 19/161 (31.01.2024), S. 6, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP19/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/19_0000161.pdf

[6] Marco Puschner (13.03.2024), „Diskriminierendes Etikett“ in Nürnberger Nachrichten, S. 30.

[7] PayCenter (2024), “Die Bezahlkarte von PayCenter“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://bezahlkarte.info

[8] Petr Jarabek, Bayerisches Rundfunk (20.03.2024), „Söder gibt Startschuss für Bezahlkarte: So funktioniert sie“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-gibt-startschuss-fuer-bezahlkarte-fuer-asylbewerber-so-funktioniert-sie,U7YAnDo

[9] Bayerisches Staatsministerium des Inneren (März 2024), „10 Fakten zur Bayerischen Bezahlkarte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.innenministerium.bayern.de/assets/stmi/med/aktuell/factsheet_bezahlkarte_web.pdf

[10] Ebd., S.1

[11] Bay. LT-Drucksache 19/769 (20.03.2024), S. 2, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP19/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000000500/0000000622.pdf

[12] Joachim Hermann (21.03.2024), Plenarsitzung zum Dringlichkeitsantrag der CSU und der Freien Wählern „Bayern zeigt, wie es geht – Einführung der Bezahlkarte und Schaffung von Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bayern.landtag.de/plon-webanzeige/views/ondemand/ondemand-playlist-param.html?playlist=https://www1.bayern.landtag.de/streamingservice/jsonmetafiles/wp19/19_584/meta_vod_46959.json&startId=10 (Zeitpunkt des Zitats: 2:08-2:27)

[13] Petr Jarabek, Bayerisches Rundfunk (20.03.2024), „Söder gibt Startschuss für Bezahlkarte: So funktioniert sie“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-gibt-startschuss-fuer-bezahlkarte-fuer-asylbewerber-so-funktioniert-sie,U7YAnDo

[14] Stephanie Munk (23.03.2024), „Söder startet Bezahlkarte in Bayern: Nur noch 50 Euro Bargeld für Geflüchtete“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.merkur.de/politik/fluechtlinge-details-bargeld-gruene-merz-soeder-bezahlkarte-start-bayern-asylbewerber-zr-92902323.html

[15] Felix Durach (21.02.2024), „Söders Bezahlkarte doch nicht härter? Hamburg reagiert auf CSU-Chef“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.merkur.de/politik/asyl-soeder-bayern-csu-bezahlkarte-hamburg-zuschlag-kommunen-bargeld-regelungen-zr-92844488.html

[16] Bundesregierung (12.04.2024), „Bezahlkarte für Geflüchtete“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bezahlkarte-fluechtlinge-2263574

[17] Bundesverfassungsgericht (18.07.2012), „Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10“, zuletzt aufgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bverfg.de/e/ls20120718_1bvl001010.html

[18] Bundesverfassungsgericht (19.10.2022), „Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://openjur.de/u/2457336.html

[19] Belinda Grasnick (31.01.2024), „Wie sinnvoll ist die Bezahlkarte für Asylsuchende?“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/asylbewerber-bezahlkarte-bundeslaender-102.html

[20] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2013), „Warum Deutschland?“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb19-warum-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=14

[21] Bayerisches Innenministerium (28.11.2023), „41. Infobrief für haupt- und ehrenamtlich Tätige sowie Projektträger in den Bereichen Asyl und Integration“, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://admin.integreat-app.de/media/regions/167/2023/12/2023-11-28_41._Infobrief.pdf

[22] Bay. LT-Drucksache 19/584 (26.02.2024), S. 1, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP19/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000000001/0000000499_008.pdf

[23] Ebd.

[24] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (21.12.2023), „Neue Leistungssätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bmas.de/DE/Soziales/Sozialhilfe/LeistungenAsylbewerberleistungsgesetz/leistungssaetze-asylbewerberleistungsgesetz.html

[25] Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (23.01.2020), „Überblick zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bundestag.de/resource/blob/681254/724f14ae6f257a528be9e7d9ab124a9c/WD-6-137-19-pdf-data.pdf

[26] Felix Krauß und Katharina Grillmeyer (22.04.2024), „Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern“, zuletzt abgerufen am 22.04.2024 unter https://www.menschenrechte.org/de/2024/04/22/bezahlkarte-interview-betroffener/

[27] Pro Asyl (22.12.2023), „Menschenrechtliche Standards beachten! Notwendige Eckpunkte für die neue Bezahlkarte“, zuletzt abgerufen am 16.04.2023 unter https://www.proasyl.de/news/menschenrechtliche-standards-beachten-notwendige-eckpunkte-fuer-die-neue-bezahlkarte/; Münchner Aktionsbündnis für geflüchtete Frauen (2024), Forderungen Bezahlkarte, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://www.aerztederwelt.org/file/30333/download?token=Ko12y5rq

[28] Felix Krauß und Katharina Grillmeyer (22.04.2024), „Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern“, zuletzt abgerufen am 22.04.2024 unter https://www.menschenrechte.org/de/2024/04/22/bezahlkarte-interview-betroffener/

[29] Johannes Beermann (02.09.2022), “Bargeld in Deutschland: Gegenwart und Zukunft“, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bundesbank.de/de/presse/gastbeitraege/bargeld-in-deutschland-gegenwart-und-zukunft-896766

[30] Felix Krauß und Katharina Grillmeyer (22.04.2024), „Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern“, zuletzt abgerufen am 22.04.2024 unter https://www.menschenrechte.org/de/2024/04/22/bezahlkarte-interview-betroffener

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] Wissenschaftler Dienst des Deutschen Bundestags (29.04.2019), „Ausarbeitung zum Verhältnis zwischen der Privatautonomie und dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3, S. 1 Var. 9 GG“, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://www.bundestag.de/resource/blob/648690/4f1c87f54751e43d0442436ce0a86f63/WD-3-101-19-pdf-data.pdf

[34] Felix Krauß und Katharina Grillmeyer (22.04.2024), „Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern“, zuletzt abgerufen am 22.04.2024 unter https://www.menschenrechte.org/de/2024/04/22/bezahlkarte-interview-betroffener/

[36] Bay. LT-Drucksache 19/161 (31.01.2024), S. 4, zuletzt abgerufen am 15.04.2024 unter https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP19/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/19_0000161.pdf

[37] Pro Asyl (02.02.2024), „Bezahlkarte ohne Standards – Länder vereinbaren Diskriminierungskonzept“, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://www.proasyl.de/news/bezahlkarte-ohne-standards-laender-vereinbaren-diskriminierungskonzept/

[38] Stadt Frankfurt am Main (11.12.2023), „Sozialdezernentin Voitl und Kämmerer Bergerhoff lehnen Bezahlkarte ab“, zuletzt abgerufen am 16.04.2024 unter https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/Haushalt-und-Finanzen/Bezahlkarte/

[39] Felix Krauß und Katharina Grillmeyer (22.04.2024), „Interview mit Betroffenem zur Bezahlkarte für Geflüchtete in Bayern“, zuletzt abgerufen am 22.04.2024 unter https://www.menschenrechte.org/de/2024/04/22/bezahlkarte-interview-betroffener/

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