Landet Bolsonaro für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem IStGH?

17. Februar 2022 | Von | Kategorie: Aktuelles, Strafgerichtsbarkeit, Lateinamerika

von Ticiana Salomao

In den drei Jahren seiner Amtszeit als brasilianischer Präsident ist Jair Messias Bolsonaro weltweit für eine Vielzahl von katastrophalen politischen Maßnahmen bekannt geworden. Im Folgenden soll zunächst ein allgemeiner Überblick hierüber gegeben werden. Sodann soll der Frage nachgegangen werden, mit welchen Rechtsmitteln Verhaltensweisen des Präsidenten juristisch angegriffen werden könnten und inwiefern diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeordnet werden können. Im Anschluss hieran soll der Frage nachgegangen werden, ob ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) realistischerweise zu erwarten ist.

  1. Allgemeiner Überblick über umstrittene politische Maßnahmen

Zunächst erregte Bolsonaro weltweit Aufmerksamkeit, indem er die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und damit des Lebensraums seiner traditionellen indigenen Bevölkerung durch Berg- und Ackerbau zuließ und unterstützte. In einer Zeit, in denen weltweit Maßnahmen zum Klimaschutz unternommen werden, vertritt Bolsonaro die Interessen von Bergbauunternehmen und Agrarindustriellen und äußert sich in diesem Zusammenhang auch diskriminierend gegenüber den indigenen Bevölkerungsgruppen, welche einen Anspruch auf die Regenwaldgebiete erheben. Während der Regenwald vor den Augen der Öffentlichkeit brannte, versuchte Bolsonaro hiervon abzulenken, indem er fälschlicherweise behauptete, die Brände seien das Ergebnis krimineller Handlungen von NGOs. Zeitgleich drangen die Bergleute immer tiefer in die eigentlich rechtlich geschützten indigenen Gebiete ein.

Mit dem Beginn der Covid-19-Pandemie begann ein neues Kapitel der Rechtsverletzungen. Nach dem Vorbild anderer Staatsoberhäupter wie dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump behauptete Bolsonaro zunächst, die Besorgnis um die Covid-19-Pandemie seien übertrieben. Indem er die Aussagen von Wissenschaftlern und der Weltgesundheitsorganisation anzweifelte, erklärte Bolsonaro in einem Interview im März 2020, dass Covid-19 nicht mehr Opfer fordern werde als die H1N1-Grippe im Vorjahr (insgesamt 796 Todesopfer)[1]. Selbst unter Beachtung der statistischen Untererfassung von Todesfällen im Zusammenhang mit der Grippe widersprach diese Aussage bereits objektiv dem damaligen Stand der Wissenschaft und den Beobachtungen in China und Norditalien; zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels werden in Brasilien insgesamt über 620 Tausend Todesfälle auf Covid-19 zurückgeführt.

Als die Zahl der Todesopfer immer weiter anstieg, ignorierte der Präsident nicht nur weiterhin die wissenschaftlichen Leitlinien zum Schutz der Bevölkerung, sondern er bestand auch darauf, die Pandemie mit fragwürdigen und unbewiesenen Methoden zu bekämpfen, indem er die Wirkstoffe Chloroquin und Ivermectin propagierte, obwohl diese bereits zu diesem Zeitpunkt nachweislich nicht gegen Covid-19 helfen und schwere Nebenwirkungen haben können. Dies führte zu Situationen, wie sie in der Stadt Manaus im Norden Brasiliens zu beobachten waren. Ohne eine angemessene Versorgungspolitik für die öffentlichen Krankenhäuser der Region fehlte es ihnen an persönlicher Schutzausrüstung und medizinischem Gerät. Ohne ein Pandemiemanagement und adäquate medizinische Versorgung stiegen die Infektionszahlen und es starb eine hohe vermeidbare Zahl an Menschen; das Gesundheitspersonal musste ungeschützt arbeiten und beispielsweise entscheiden, wie es den zu knapp vorhandenen Sauerstoff verteilen sollte. Es ist wichtig, hier zwei Punkte hervorzuheben: Erstens, dass es einen Überfluss an Chloroquin, aber zugleich einen Mangel an persönlicher Schutzausrüstung und anderem Material gab; die unzureichende Vorbereitung der Krankenhäuser war damit politisch verschuldet. Zweitens, dass Manaus das größte städtische Zentrum im Norden Brasiliens ist, wo sich die meisten der abgegrenzten indigenen Gebiete befinden. Daher war es das wichtigste Zentrum für die indigene Bevölkerung, das diesen medizinischen Notstand erlitt. Auch hier zeigte sich erneut die Indifferenz Bolsonaros gegenüber indigenen Rechten.

  1. Nationale Rechtsmittel und Zulässigkeit vor dem IStGH

Viele machen den Präsidenten für den katastrophalen Verlauf der Krankheit in Brasilien verantwortlich. Dies führte im Mai 2021 zu einer parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI), die den Verlauf der Pandemie in Brasilien untersuchte und im Oktober einen Bericht veröffentlichte, in dem die Anklage gegen Präsident Bolsonaro und weitere 79 Personen gefordert wurde. In dem Untersuchungsbericht (relatorio_final-26102021-12h40-1.pdf (senado.leg.br)So) wird Bolsonaro beschuldigt, neun Verbrechen dreier unterschiedlicher Deliktsgruppen begangen zu haben: sieben gewöhnliche Verbrechen, ein crime de responsabilidade (ein spezielles, amtsbezogenes Staatsgefährdungsdelikt) und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Untersuchung des CPI ergab, dass die Regierung Bolsonaro es nicht nur versäumt hat, das Leben der Brasilianer zu schützen, sondern auch zur Verschlimmerung der Pandemie beigetragen hat, unter anderem indem sie die Verwendung von Medikamenten ohne nachgewiesene Wirksamkeit förderte, Versammlungen begünstigte und den Kauf von Impfstoffen verzögerte.

Aber ist es nach alle dem wahrscheinlich, dass Bolsonaro gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden könnte? Bei den ersten beiden Gruppen von Beschuldigungen, die lediglich national verfolgbar sind, liegt die Entscheidung für oder gegen eine Anklage bei dem brasilianischen Generalstaatsanwalt Augusto Aras bzw. dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer Arthur Lira. Das Material, aus dem über tausend Seiten langen Bericht würde zwar vermutlich ausreichen, um Ermittlungen einzuleiten, Bolsonaro zu verurteilen und ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da sowohl Aras als auch Lira enge Beziehungen zu Bolsonaro unterhalten.

Als Unterzeichnerstaat des Römischen Statuts bietet der letztgenannte Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Möglichkeit, den Präsidenten vor den IStGH in Den Haag zu bringen. Eines der Kriterien des Gerichtshofs ist der komplementäre Charakter des IStGH, wonach er das nationale Strafrechtssystem nicht ersetzen, sondern ergänzen soll. Der IStGH ist demnach nur zuständig, wenn ein Staat unwillig oder unfähig ist, die Taten ernstlich auf nationaler Ebene zu verfolgen (vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a Rom-Statut, im Folgenden RS).  Der Antrag wäre demnach gerechtfertigt, weil der Generalstaatsanwalt Augusto Aras schon keine Ermittlungen hierzu anstreben wird, also kein Wille zur ernstlichen Verfolgung der Taten besteht; außerdem enthält das brasilianische Strafgesetzbuch keine Definition des Begriffs Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sodass auch die Möglichkeit der Verfolgung insoweit eingeschränkt ist.

  1. Klassifizierung dreier konkreter Verhaltensweisen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission geht davon aus, dass Bolsonaro in drei verschiedenen Fällen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben könnte: In Bezug auf den Umgang mit der indigenen Bevölkerung Brasiliens, im Fall Manaus und im Fall Prevent Senior (einem privaten Gesundheitsunternehmen, das sich auf die Behandlung der älteren Bevölkerung spezialisiert hat). Die in Betracht kommenden Tatbestandsalternativen sind Ausrottung (Art. 7 Abs. 1 lit. b RS), Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft (Art. 7 Abs. 1 lit. h RS) und andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art (Art. 7 Abs. 1 lit. k RS).

Die drei Fälle sollen im Folgenden kurz beschrieben werden. Im Fall Manaus wird Bolsonaro vorgeworfen, die Stadt als eine Art „medizinisches Experiment“ genutzt zu haben, da die öffentlichen Krankenhäuser nicht adäquat ausgestattet waren (s.o.) und anerkannte Behandlungen nicht durchgeführt wurden, um den Patienten stattdessen Chloroquin zu verabreichen.

Der Fall Prevent Senior ist insoweit ähnlich gelagert, als dass der Vorwurf im Raum steht, mit der Verwendung von Chloroquin ohne Zustimmung der Patienten an der Bevölkerung zu experimentieren. Allerdings waren die Krankenhäuser von Prevent Senior nie mit so schwerwiegenden Versorgungsengpässen konfrontiert wie das Gesundheitssystem in Manaus.

Der Umgang mit der indigenen Bevölkerung Brasiliens wird in dem Bericht ausführlich behandelt und gesellt sich zu drei weiteren precautionary measures (Aufforderungen gegenüber einem Staat Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen), die die Interamerikanische Menschenrechtskommission bereits ergriffen hat und in denen Brasilien beschuldigt wird, seinen Verpflichtungen zur Achtung und zum Schutz dieser Bevölkerung nicht nachzukommen. Mit der Pandemie intensivierte sich diese Problematik noch weiter; der CPI-Bericht beschuldigt den Präsidenten, dass er mehrfach treuwidrig sein Veto gegen Gesetze zum Schutz der indigenen Bevölkerung eingelegt hat, wie z. B. die Einführung von Schutzmechanismen zur Verhinderung der Einschleppung von Krankheiten wie Covid-19 in indigene Populationen und die Gewährleistung des Zugangs zu Trinkwasser. Tatsächlich musste das Bundesgericht während der Pandemie eingreifen, um sicherzustellen, dass Gesetze und Maßnahmen zum Schutz der indigenen Bevölkerung erlassen wurden. Die Sterblichkeit der indigenen Bevölkerung war gleichwohl proportional höher als die der städtischen Bevölkerung.

Die parlamentarische Kommission hat die Fälle als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Zunächst sei die Tatbestandsalternative der Ausrottung dadurch erfüllt, dass augenscheinlich die Absicht bestand, die Bevölkerung den Auswirkungen der Pandemie auszusetzen, um durch Ansteckung “Herdenimmunität” zu erreichen. In Bezug auf die indigene Bevölkerung beschuldigt der Bericht Bolsonaro darüber hinaus der Tatbestandsalternative der Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft, da er das Virus als Verbündeten in seiner indigenenfeindlichen Politik benutzt zu habe, indem er seine Pflicht zur Achtung und zum Schutz indigener Bevölkerung vernachlässigte und sie sterben ließ.

Typischerweise zielt die Norm des Art. 7 RS darauf ab, überaus grausame Kriegsverbrechen unter Strafe zu stellen. In dem Katalog ist aber auch ein offener Tatbestand (Art. 7 Nr. 1 (k) RS) in Form “andere[r] unmenschliche[r] Handlungen ähnlicher Art, mit denen vorsätzlich große Leiden oder eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der geistigen oder körperlichen Gesundheit verursacht werden” erwähnt; die vorherige Aufzählung von Tatbestandsalternativen ist damit nicht abschließend und Handlungen, die im Vergleich zu den in der Norm zuvor genannten Tatbestandsalternativen vergleichbar schwer wiegen, können ebenso Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.

Sylvia Steiner, eine ehemalige brasilianische Richterin am Internationalen Strafgerichtshof, die dem oben erwähnten Ausschuss von Rechtswissenschaftlern und -praktikern angehörte, vertritt die Ansicht,[2] dass die Handlungen Bolsonaros eher der o.g. Tatbestandsalternative der anderen unmenschlichen Handlungen, anstatt der zuvor erwähnten Tatbestandsalternativen Ausrottung bzw. Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft zuzuordnen sind. Sie argumentiert, dass die Handlungen des Präsidenten als schwere Verfehlungen angesehen werden können, die großes Leid verursacht und die physische und psychische Integrität der Zivilbevölkerung beeinträchtigt haben. Dennoch müsste für eine Strafbarkeit nach Art. 7 RS nachgewiesen werden, dass der Präsident dieses Leid und die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und der geistigen und körperlichen Gesundheit vorsätzlich verursacht hat und die Situation nicht bloß fahrlässig (mit-)verursacht hat.

  1. Wahrscheinlichkeit eines Verfahrens vor dem IStGH

In Anbetracht der Schwere der Fälle, mit denen sich der Internationale Strafgerichtshof normalerweise befasst, wäre die Pandemie in Brasilien alles andere als ein typisches Verfahren. Sylvia Steiner erklärt auch[3], dass die frühere Chefanklägerin des IStGH (Fatima Bensouda) in der Vergangenheit bei der Prüfung jeder Strafanzeige („communication“) nach sehr strengen Kriterien vorgegangen ist und bewaffnete und gewalttätige Konflikte bevorzugte. Darüber hinaus berichtet Steiner, dass der IStGH jedes Jahr mehrere Hundert Beschwerden erhält, sodass abgewogen werden muss, welche Fälle schwerwiegend genug sind, um in den Zuständigkeitsbereich des IStGH zu fallen. Unter diesen Umständen wäre es unwahrscheinlich, dass gegen Bolsonaro Anklage vor dem IStGH erhoben wird. Gleichwohl bleiben gerade auch deswegen einige zentrale Fragen unbeantwortet: Würde ein Fall der öffentlichen Gesundheit überhaupt in den Zuständigkeitsbereich des IStGH fallen? Und wenn ja, würde dies zu einem Paradigmenwechsel im IStGH führen, der die Möglichkeit eröffnen würde, Fälle aufzunehmen, in denen politische Maßnahmen statt Waffen die Bevölkerung töten? Jedenfalls eine breite und internationale Diskussion darüber, wie man diese spezielle Art der augenscheinlichen Straflosigkeit beenden und vergleichbares Handeln künftiger Staatsführer verhindern könnte, würde einer Anklage in jedem Fall folgen.

Derzeit sind bereits mehrere Strafanzeigen gegen Bolsonaro beim IStGH eingegangen. Thematisch vereint sie alle, dass sie die Verfolgung der indigenen Bevölkerung zum Gegenstand haben. Beispielsweise reichte im August 2021 die Vereinigung der indigenen Völker Brasiliens (APIB) eine Strafanzeige vor dem IStGH ein, in der sie den Präsidenten des Völkermordes an der indigenen Bevölkerung beschuldigte. Bereits im November 2019 hatten das Human Rights Advocacy Collective und die Human Rights Defence Commission ebenfalls den IStGH angerufen und Bolsonaro beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, indem er die indigene Bevölkerung verfolgte, ihre Grundrechte verletzte und die Umweltverbrechen im Amazonas-Regenwald, dem Lebensraum dieser Bevölkerung, nicht effektiv verfolgte. Die Beschwerden dokumentieren detailliert die gegenüber indigenen Gruppen feindlich eingestellte Politik der Regierung Bolsonaro, wie z.B. Äußerungen des Präsidenten, in denen er damit prahlte, kein indigenes Land zu demarkieren und die indigene Bevölkerung dazu aufforderte, sich zu akkulturieren. Außerdem habe seine Regierung systematisch die Funai (die National Indian Foundation) entkernt und damit einer Behörde Geldmittel entzogen, welche die brasilianischen Stämme und ihre Gebiete schützen soll.

Mittlerweile sind auch Menschen weltweilt auf diese Problematik aufmerksam geworden. So hat die österreichische Non-Profit-Organisation AllRise mit Unterstützung des Climate Observatory (einer Gruppe von 70 brasilianischen Organisationen der Zivilgesellschaft) im Oktober 2021 ebenfalls Anzeige beim IStGH erstattet. Sie argumentieren, dass Bolsonaro gegen Art. 7 i.V.m. Art. 25 Abs. 3 lit. c des Römischen Statuts verstoße, indem er diesen Angriff auf den Amazonas-Regenwald, seine Angehörigen und Verteidiger zulässt und damit nicht nur seinen Bewohnern, sondern auch der Weltbevölkerung Verfolgung, Mord und unmenschliches Leid zufügt, wenn man die Bedrohung durch die globale Erwärmung und die Abhängigkeit der Erde vom Amazonas zur Beeinflussung ihrer Temperaturen berücksichtigt.

Wenn man all diese Beschwerden in Zusammenhang mit dem Fehlverhalten während der Pandemie betrachtet, liegt möglicherweise die Annahme einer Strafbarkeit nach dem Rom-Statut näher als bei Betrachtung der Einzelfälle. Denn in Art. 7 Abs. 1 RS ist eine allgemeine Voraussetzung für das Vorliegen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dass die „Handlungen (…) im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen“ worden sind. Möglicherweise könnte erst durch eine Gesamtbetrachtung aller oben erwähnten Fälle ein größeres Verhaltensmuster zutage treten und insbesondere die systematische Unterdrückung indigener Gruppen in Brasilien erst aus der Gesamtschau der Sachverhalte evident werden. Dies könnte eine sorgfältigere Prüfung durch den Gerichtshof erforderlich machen, da sich erst aufgrund dieser Betrachtungsweise die Verfolgung einer bestimmten ethnischen Gruppe offenbart. Außerdem könnte sich aus der Gesamtschau der früheren Verhaltensweisen und Ansichten Bolsonaros ableiten lassen, dass er insbesondere in Bezug auf das Fehlverhalten gegenüber der indigenen Bevölkerung während der Pandemie nicht lediglich fahrlässig, sondern vorsätzlich handelte.

  1. Fazit

Es wäre ein langer Weg, bis auf eine dieser Anzeigen eine Verurteilung zu einer potenziell 30-jährigen Haftstrafe folgen würde. Sollte der IStGH eine der Klagen überhaupt zur Entscheidung annehmen, so würde diese zunächst einer vorläufigen Prüfung unterzogen, um der Frage nachzugehen ob der Gerichtshof eine Untersuchung einleitet oder nicht. Aber selbst für den Fall, dass der Gerichtshof keine Ermittlungen gegen Bolsonaro einleiten würde, ist es dennoch bemerkenswert, dass sich verschiedene Kollektive, Organisationen und Gesetzgeber in Brasilien und weltweit bemühen, die Handlungen des Präsidenten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstehen. Man kann es als einen Paradigmenwechsel verstehen, dass Regierungsmitglieder noch während ihrer Amtszeit persönlich für die Zerstörung von Umwelt und die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Dies könnte dazu beitragen eine sehr relevante Strafbarkeitslücke zu schließen. Schließlich können viele Regierungen bzw. Regierungsmitglieder weltweit die Zivilbevölkerung verfolgen und ihre Menschenrechte fundamental verletzen, ohne dabei eine nationale strafrechtliche Verfolgung befürchten zu müssen. Die Frage, die sich stellt, ist: Könnte dies auf die gleiche Stufe dessen gehoben werden, was wir üblicherweise mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit assoziieren? Wir werden sehen, ob der IStGH hierauf eine Antwort geben wird.

 

[1] https://www1.folha.uol.com.br/equilibrioesaude/2020/04/em-22-de-marco-bolsonaro-disse-que-mortes-por-covid-19-ficariam-abaixo-das-796-por-h1n1.shtml

[2] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=4hGx0nucXMc

[3] Ibid

 

Literaturnachweise:

https://www12.senado.leg.br/noticias/arquivos/2021/10/26/relatorio_final-26102021-12h40-1.pdf

https://www.icc-cpi.int/about

https://www.bbc.com/portuguese/brasil-58986678

https://www.dw.com/pt-br/bolsonaro-é-denunciado-em-haia-por-desmatamento-da-amazônia/a-59478786

https://edition.cnn.com/2021/10/12/americas/brazil-bolsonaro-icc-crimes-against-humanity-intl/index.html

https://www.vox.com/22737145/bolsonaro-covid-19-crimes-against-humanity-icc

https://www.vox.com/world/21273709/brazil-coronavirus-indigenous-people-covid-19-amazonas

https://www.theguardian.com/world/2021/oct/20/jair-bolsonaro-crimes-against-humanity-inquiry

https://www.theguardian.com/world/2019/jul/26/bolsonaro-amazon-tribes-indigenous-brazil-dictatorship

https://edition.cnn.com/2021/10/12/americas/brazil-bolsonaro-icc-crimes-against-humanity-intl/index.html

Schlagworte: , , , , , ,

Kommentare sind geschlossen